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l Beiblatt zuv Gilpost für Moden. ^ 36. Unter Verantwortlichkeit der Redaction der Eilpost. L84Z. Neuestes Bulletin der Moden. Paris, den lg. August 1841. Das Sprichwort sagt: „Es giebt nichts Neues mehr unter der Sonne." Aber wie steht's denn mit den Neuigkeiten unter den Regenwolken? Darauf möchte schwer Antwort zu geben sein; die Frage gehört zu den unauflöslichen Problemen. Wenn der Regen, der viele Regen, eine Calamität für die Natur ist, so ist er auch ein Majestätsverbrechen für die Mode; er führt Anarchie im Reiche der Toilette herbei, und selbst die jenigen Damen, gegen deren Geschmack nichts cinzuwendcn ist, wagen ein, Diaphan - Moufseline - Kleid mit einem warmen Cachemire-Herbst-Mäntelchen zu tragen. Diese Anarchie ist bereits eingetreten. In voriger Woche erschienen die Sammet schärpen wieder in Menge, und ich zweifle gar nicht daran, daß man noch im Laufe des August zu den Manchons und Boa's greifen wird. Die Natur sollte sich doch ein wenig schämen, uns in solche Verlegenheit zu setzen. Aber, wenden vielleicht meine schönen Leserinnen ein, solch' ein Sommer ist für die Industrie auch sehr nachtheilig! Dem ist nicht so; das Genie ist eine Pflanze, die mitten unter Stürmen und Hagel gedeiht und sich nur um so mehr entfaltet, und Sie können mir's glauben, daß diese deplorable Saison neue Erfindungen veranlaßt hat, die für das industrielle Genie schöne Zeugnisse ablegcn; mit einem Worte: der Handclsumschwung befindet sich eben so wohl bei gutem, als bei schlechtem Wetter. Wenn das Haus La falle, riw 'l'aitl.vut Nr. 28, weniger Geschäfte in jenen leichten und charmanten Negligös für die Hitze gemacht hat, so hat es Ersatz gefunden beim Verkauf von Scidenrobcn, deren einfache Form ein höchst graciöses und elegantes Costum für den Salon <I<- campapn« abgicbt, und deren Stoff den Regen verbietet, ihn zu erweichen und un scheinbar zu machen. Wenn das so fortgeht, so wird man noch jedes Zeug in der Welt, selbst den feinsten Mousselin, regen dicht zu machen wissen. Man benutzt die üble Witterung, so gut man kann; unter dem Vorwand der Kälte kommen die Damen in den Bädern des Morgens aus ihren Zimmern in einem weichen Schlafrock von staubfarbencm Cachemire, blau gefüttert, oder von weißem Cachemire, ceriseroth gefüttert; diese Art von Roben hat ein Corsagc ü clwls renrer8e, wel ches ein Camisol von feinem gefältelten Batist sehen läßt mit Spitzen-Garnitur; eine kleine Cravatc von schwarzem Taffetas trägt man zu weiterem Schutz, und die Jupe ist von zahl reichen Falten umgeben. Die Aermel sind ebenfalls faltig und verhüllend. Ein Häubchen ganz von Mousselin und Spitzen, ohne alles Band, verbirgt die Papilloten. Unter dem Anzuge giebt ein Corset-Josselin der Taille die reizendste Form, aber dieses Corset ist so klein, daß es kaum den Namen eines sol chen verdient; dieses Halbcorset, oder besser gesagt, dieser Gürtel ist der Vorgänger des eigentlichen Corsets, welches man später anlegt, wenn man ganze Toilette macht. Wenn die Mittagssonne hcraufsteigt und auf Augusthitze rechnen läßt, benutzt man die Gelegenheit, sich der meist flüch tigen Gunst des Wetters zu bedienen. Man nimmt dann eine allerliebste Robe von Barege oder von zartfarbigem Mousselin, garnirt mit drei großen Falten, welche mit Spitzen oder sieben mit Spitzen wechselnden Fältchcn garnirt sind; das Corsage ü In vwrgs mit kleinen Coulissen bis zur Taille; die Aermel lang n I'isadvll« mit Coulissen von oben nach unten, oder Aermel ü la riells, ffiit Manschetten verziert. Ueber diese Robe trägt man ein Tuch von offner Seide, garnirt mit einer Franze von Seide oder Taffetas in Changeant, mit Volants geschmückt. Das Häubchen besteht aus Spitzen und Band, welches nach hinten gesetzt, die ganze glänzende Fülle des Haars sehen läßt. Macht man einen Spaziergang, so ersetzt der Hut diese Coiffüre. Der seine italienische Strohhut ist mit <4,»8 üv blaplos gefüttert und oben mit Sammet verziert, bisweilen auch mit einer einfachen Feder. Verkriecht sich nun die Sonne hinter Wolken, und über die schönen weißen Arme und Nacken läuft Gänsehaut, so ändert man die Toilette, indem man ein Mäntelchen von weißem Mousselin, brodirt und gefüttert mit einer zarten der Robe entsprechenden Farbe, überwirft. Diese Mäntelchen sind sehr weit und schützen deshalb sehr gut gegen Wind und Kälte. Aber es dauert nicht lange, so fällt der Regen in Strömen und man flüchtet sich in den Salon. Das Kaminfeuer knistert zum Hohne der Hundstage; die Feuilletons der Journale unter halten die Gesellschaft und lassen sie das Wetter vergesse». Oder man liest sich auch aus einem neuen Romane vor, z. B. aus: sulien, roman >1» pnr Uaüame bAn») liidwmme, welcher die Ehre gehabt hat, von der Akademie gekrönt zu werden. Darauf begiebt man sich in's Schauspiel; so geht der Abend hin, und wenn man sich zur Ruhe legt, seufzt man noch einmal, sicht nach dem Himmel und wünscht, daß das Wetter nun endlich besser werden möge.