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seine Wagschale mit der ganzen Bitterkeit eines selbst berei teten Schicksals herabsinken lassen." Madame Schröder - Devrient und Fraulein Marx, jene, wie bekannt, eine weltberühmte dramatische Sängerin, diese, eine junge, der weltberühmten Künstlerin nacheifernde Anfängerin, beide bei demselben Theater (in Dres den) engagirt, sind vor Kurzem — gestorben? Gottlob, nein; oder nach London, Paris und Petersburg berufen worden? auch nicht; oder haben vielleicht eine Oper zusammen compo- nirt? bewahre; sondern Madame Schröder - Devrient und Fräulein Marx sind vor Kurzem — in einen vorüber gehenden Zwist crathen. Man möchte cs uns übel nehmen, wenn auch wir nicht das wichtige Ereigniß berührten, da sogar die L. Allgemeine einen eigenen Artikel darüber bringt. „O wunderbare Zeiten!" Die Königin Christine, welche sich bekanntlich jetzt in Paris aushält, entzückt die vornehme Welt durch ihre höchst geschmackvolle Toilette. Alle Modenjournale sind voll von ihrem Lobe und gerathcn in Begeisterung, wenn sie von der Kleidung der ehemaligen Regentin von Spanien sprechen. Ihre Schönheit soll übrigens noch nicht ehemalig zu nennen sein. Die Tyrannei der Mode scheint jetzt im Abnchmcn begriffen zu sein; sie gestattet uns Freiheiten, an die sonst nicht zu denken war. Dieß trifft besonders bei den Anzügen der Damen ein. Mit welcher Verschiedenheit kleiden sich jetzt die eleganten Frauen, ohne daß doch eine einzige gegen die Mode sündigt. Ein pariser Blatt sagt in dieser Bezie hung: „Wir sind jetzt zur Freiheit in der Mode, aber noch nicht zur Willkür gekommen." Der Narrcnvcrein in Köln wird, wie man uns schreibt, an Mitgliedern immer zahlreicher; auch hat die Ge sellschaft Ehrenmitglieder unter den bedeutendsten Leuten von Deutschland. Jetzt baut sie sich ein eigenes Haus für ihre Sitzungen, die oft höchst interessant sein sollen. '„Tiefer Sinn liegt oft in kind'schem Spiel," sagt Schiller. In jedem Jahre werden einer großen Anzahl deutscher Dichter und Schrift steller Ehrcndiplome für Verdienste um das Narrenhaus zu gesendet. Die Angewohnheiten. Es ist eine schlimme Sache um jene kleinen üblen Ange wohnheiten , die ihre Wurzeln oft tief in unser innerstes Le ben schlagen. Beim Greise sind sie eine Schwäche, beim ge reisten Manne eine Unart, beim Jünglinge ein Fehler, und beim Kinde sind sie fast ein Laster. Eine Gesichtszuckung, die man längere Zeit hindurch wie derholt, wird endlich zur Grimasse. So wird jede Angewohn heit zuletzt zur Manie, zur Narrheit. Zur Narrheit! Ach nein, die Angewohnheiten sind eigentlich mehr eine Krank heit, nicht blos die Kennzeichen dieses oder jenes Geistes, die ses oder jenes Charakters. Solch' eine Krankheit aber kann aus einem Menschen geradezu eine Earricatur machen. Z. B. sind dahin zu rechnen: Derjenige, welchem bei Tische kein Bissen schmeckt, wenn seinen gewöhnlichen Platz zeitig ein Anderer eingenommen hat; oder Derjenige, welcher in keinem andern Bette, als in dem seinigcn schlafen kann. Diese Angewohnheit kommt ihm be sonders auf Reisen thcuer zu stehn. Oder Derjenige, welcher zu einer gewissen Stunde am Tage einen Spaziergang machen muß, wenn cs auch, wie man zu sagen pflegt, Knüttel und Stöcke regnen sollte. Oder auch Derjenige, welcher nicht eher einschlafen kann, als bis er einige Seiten gelesen hat. Sehr schmeichelhaft für den Schriftsteller, beiläufig gesagt. Auffallender sind andre Angewohnheiten. Es giebt Leute, welche mit Niemandem sprechen können, ohne einen Knopf an dessen Rock anzufassen, und ihn so lange zu drehen, bis er abreißt. Ein großer Philosoph hatte es sich angewöhnt, bei seinen Vorträgen einen Knopf an dem Rocke eines seiner Zu hörer in's Auge zu fassen. Dieser hatte eines Tages den Knopf verloren, oder auch zum Scherz vielleicht abnehmen lassen. Der Professor kommt, schlägt sein Heft auf, sucht seinen Knopf, findet ihn nicht, und muß schnell Unpäßlichkeit vor schützen, um den Hörsaal verlassen zu dürfen, denn er fühlt, daß er ohne den Knopf kein Wort werde Hervorbringen können. Nachmittags darauf ließ er jenen Zuhörer zu sich kommen und bat ihn höflich, sich doch ja seinen Knopf wie der annähcn zu lassen. So weit kann eine an sich unbedeu tend scheinende Angewohnheit führen. Vorzugsweise bemerkt man dergleichen Eigenheiten beim Schnupfen, Rauchen, Spielen u. s. w. Beobachtet einmal die verschiedenen Arten, mit der Tabaksdose umzugehen. Der Eine muß erst einen Triller mit den Fingern auf derselben schlagen, ein Anderer reibt sie erst mit dem Aermel, ehe er schnupft; jener dreht sie zwischen den Fingern; dieser bläst darauf. Eine Prise, die sie, ohne ihre Angewohnheit vorher ausgeübt zu haben, nehmen, würden sie gewiß entweder so ungeschickt zur Nase führen, als ob sie noch nie im Leben geschnupft hätten, oder sie würden sie wegwerfen, um eine andere nach der gehörigen Ordnung zu nehmen. Die Kar ten-, Billard- und Kcgelspieler sind ebenfalls sehr seltsame Käuze; ich machte einmal mit einem trefflichen Billardspieler eine Parthie. Bei jedem Stoße zuckte er mit dem linken jLeine und mit dem linken Mundwinkel. Er bot mir die Parthie um einen Louisd'or an; ich ging unter der Bedingung dar auf ein, daß er das Jucken mit dem linken Beine und dem linken Mundwinkel unterließe, und siehe, er verlor wehre Parthie» hinter einander, obgleich er weit besser spielte, als ich, nur weil er seine Angewohnheit nicht Mitwirken lassen durfte. Darauf gab ich ihm unter Gestattung derselben Re- vange, und nun nahm er mir bald mein Gewonnenes wie der ab. Ein junger Mann hatte sich daran gewöhnt, jedesmal, wenn er in sein Zimmer trat, einige Worte der Melodie zu pfeifen: „Ja, das Gold ist nur Chimäre!" Es dauerte nicht