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185 fängt. Indessen scheint uns auch, als ob viele den Gesang der Bergsängcr als Concertgesang bcurtheilt haben. So mußten sie sich wohl getäuscht finden. Hier kam cs aber viel mehr auf die nationale Eigcnthümlichkeit der Fremden, auf ihren Bolksgesang an. Dicß möchte der einzig richtige Standpunkt sein, von welchem aus sie bcurtheilt werden müssen. Ein Wunderknabe. Einen solchen besitzt Frankreich in dem jungen Kopsrcchnenkünstler Mond cur. Er ist von niederer Herkunft, der Sohn eines Landmanns und machte sich durch seine überraschende natürliche Anlage im Rechnen so be merkbar, daß man ihn nach Paris sendete, um seine enorme Fähigkeit ausbildcn zu lassen. Dicß ist auf das Glänzendste gelungen und sein Lehrer — wie sich sein Begleiter nennt — producirt seinen Schüler nun öffentlich in der großen Haupt stadt. Der Knabe Mondcux hat Aufsehn erregt; keine Auf gabe ist ihm zu schwer, obgleich er sonst nicht die geringste Bildung besitzt. Um ein Beispiel anzuführcn, so wurde die Frage an ihn gestellt: Ein Dieb entweicht aus seinem Ge fängnisse und entflieht; am ersten Tage legt er 15, am zweiten 14, am dritten 13 Lieus zurück, und so fort, an jedem Tage kinc Stunde weniger. Seine Flucht wird erst nach Ablauf des dritten Tages bemerkt und das Gericht sendet ihm einen Bo ten , ihn zurückzubringcn, nach. Dieser Bote macht am ersten Tage einen Marsch von 11, am zweiten von 12, am dritten von 13 Lieus u. s. w., an jedem Tage eine mehr: — an wel chem Tage wird er den Dieb cinholenl — Mondcux besann sich nicht lange, rechnete einige Augenblicke an den Fingern und löste die schwierige Aufgabe vollkommen richtig. Leipziger Sta-ttheater. Emil Dcvrient als Gast. Mit Egmont cröffncte Herr EmilDevricnt den Eyclus seiner Gastvorstellungen in Leipzig. Als er vor etwa z>vci Jahren hier gastirtc, erhielt er nicht den Beifall, auf den „der Liebling des deutschen Publi kums", als welchen man ihn öfter bezeichnet hatte, gerechnet haben durfte. Man fand cs nicht genial, daß er heute den sterbenden Raupach-Tafso, morgen den Choristen Fröhlich und - übermorgen den Hamlet spielte. Ein Künstler, wie er, der Neffe eines Ludwig Devricnt, sollte sich zu einer derartigen , Metamorphose nicht hcrgcbcn, behauptete man. Ferner fand man sein Spiel so frauenhaft-weich, und die schönen Lcipzigcrinncn unterdrückten vielleicht ihr besonderes Interesse an dem liebens würdigen Manne aus Eifersucht gegen die nahen, in ihn ver- ! liebten Drcsdncrinnen. Dort hat man seine Büste in Choko- ! lade gegossen, um zu bezeichnen, wie süß er sei. Diesen allge meinen Frauenfuror in Dresden kennt auch Herr Dcvrient und mag wohl mitunter sattsam gelächelt haben, wen er einmal ! ohne Lust, nachlässig hin, gespielt und doch von den dienenden Cavaliere» der Dresdner Damen mit rauschendem Beifallklat schen belohnt wurde. In Leipzig hat er einen andern Stand, den er sich vielleicht bei seinem vorigen Gastspiele noch er schwert hat. Es wird sich zeigen, wie viel Lorbecrkränze dicß- mal für ihn hier gewunden werden. Der Applaus, mit wel chem er bei seinem Auftreten sogleich empfangen wurde, mag ihm ein Zeichen fein, daß das Publikum seine berühmten Gäste und alten Bekannten zu ehren weiß. Das Theater war un gewöhnlich gefüllt, was bei der Darstellung einer klassischen Tragödie hier selten vorkommt. Der Gast ward an einzelnen Stellen lebhaft beklatscht, am Schluffe hcrvorgerufcn und sprach, einige herzliche, dankende Worte. Auch das Publikum hat zu danken, daß er ihm Gelegenheit giebt, wieder einmal bedeu tende dramatische Dichtungen an sich vorübcrgehcn zu sehen. Vorzugsweise kann der Egmont von Goethe nicht genug Lieb lingsstück des Volkes werden. Aber ob Herrn Emil Devrients Auffassung des Egmont die richtige sei? Dieß ist eine Frage, welche uns verneint zu werden müssen dünkt. Der Goethe'sche Egmont ist ein freier, heiterer, lebenslustiger, einfacher Mensch, ein Held vermöge der sinnlichen Frische seiner Natur. Diese Eigenschaften, ganz besonders die schlichte Einfachheit, vermißten wir an unserm Gaste; er war viel zu pathetisch, im Anstand mehr ein Fiesko, und im letzten Acte spielte er sogar — was er doch wahrlich nicht nöthig hat — dem klatsch lustigen Publikum, irren wir nicht, stark in die Hände. Der tiefe tragische und erhebende Effekt am Schluffe wurde dadurch geschwächt. An der Liebesscene mit Klärchen (Madame Dcs- soir, die auch nicht sowohl die Niederländerin, welche sich „Wämmslein und Hosen und Hut" wünschte, sondern vielmehr ein deutsch-schwärmerisches Mädchen gab) war er dagegen vor trefflich; klar, einfach und nicht zu — weich. Mögen vor der Hand diese flüchtigen Andeutungen genügen, bis wir Ver anlassung nehmen können, über mehre Rollen Herrn Devrients uns auszusprcchcn. Der Eheprokurator. Zn Anfang unseres Jahrhunderts kannte man in Deutsch land noch nicht die Sitte, oder wenn man will, Unsitte, sich durch „Heirathsvsrschläge" in den Zeitungen eine Frau zu suchen; die Engländer hatten damals noch allein dieß Vor recht und wurden deshälb von unseren Landsleuten nicht selten arg bespöttelt. Desto häufiger fanden sich in Deutschland Leute, welche aus Gewinnsucht oder Neigung die Ehcprokura- toren machten und die Namen und Verhältnisse aller heiraths- fähigen Männer und Frauen genau im Kopfe, oder in der Brieftasche mit sich herumtrugen. Der Charakter im bekann ten Lustspiele von Brezner war nicht aus der Luft gegriffen. Ein in dieser Beziehung merkwürdiges Dokument findet sich im Decemberstück des „Archivs der Zeit und ihres Geschmacks," vom Jahre 1799, welches wir der Curiosität wegen unserm Leserinnen mittheilen. Der stolze Titel lautet: „Auffor derung zur patriotischen Mitwirkung, um fol genden Plan auszuführen." lieber diesen nun spricht