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S3 94 Vor der Stiftung dieses Klosters wurde diese Ge gend Oouxe-LorKe, d. h. Kehlenschneiderei, ge nannt, weil sie stets der Aufenthalt von Räubern, Banditen und allerlei losem Gesindel war, welche täg lich Raub, Mord und andre Verbrechen hier begingen. Die. Geschichte erzählt uns, daß König Ludwig selbst in Gegenwart des ganzen Hofs den ersten Stein zu diesem Gebäude legte, seine Gemahlin Margaretha den zweiten, ihr ältester Prinz den dritten und Schwester Jsabclla aus Demuth den vierten. Während dieser Feierlichkeit schwebten gerade über dem Ort hoch in der Lust drei weiße Tauben, so schön und blank, wie man nie zuvor welche gesehen. Dieser Anblick setzte die Zuschauer in so ^größeres Erstaunen, da alle alten Leute des Landes einstimmig versicherten, daß man solche Lhiere hier noch niemals gesehen, daß überhaupt die Tauben aus natürlicher Schüchternheit diese Gegend vermieden, wo täglich bei Tag wie bei Nacht Angstgeschrei und Jammer der Beraubten und mit Mord Bedrohten ertönte. In dieser Abtei starb Prinzessin Jsabella und wurde unter den Thranen und Segnungen der ganzen Gemeinde am 23. Februar 1269 am Eingang des Chors begraben. Ihrem Beispiel folgend, nahmen mehrere Prinzessinnen und viele Damen von höchstem und hohem Rang den Schleier in diesem Kloster, wie viele Grabmahle bewiesen. König Philipp der Lange verbrachte jedes Jahr regelmäßig fünf Monate an diesem heiligen Ort, wurde daselbst zweimal gefährlich krank, schrieb dort sein Te stament und starb auch wirklich daselbst am 3e Januar 1321. Im folgenden Monat Mai schaffte man seine Leiche nach St. Denis, der Abt und die Religiösen dieser Abtei holten sie in feierlicher Procession barfuß und mit allen heiligen Reliquien versehen, ab. Das lachende Fest der Eitelkeit, wozu man sich heut' zu Tage dahin verfügt, wie man einst in dem alten Rom nach dem Circus und Hyppodrom eilte, um die Wagen um das Ziel fliegen zu sehen und die Windesschnelle der Renner zu bewundern, um sein Gold zu zeigen, seinen Glanz zu entfalten, die Herr lichkeiten an Andern zu betrachten, mit einem Wort, um sich an seinem eignen und an dem Stolz Andrer zu weiden und dies Alles inmitten der Trauer der Tempel, des Schweigens der Glocken, der Seufzer ei ner noch immer, national genannten Religion; dieses in der Finstcrniß so schimmernde, an den heiligen- La gen so ganz profane Fest, hatte in früher» Zeiten einen weit würdiger» Zweck, der auch in der That mit die ser Zeit der Trauer, der Thränen und der religiösen Seufzer in natürlicherem Einklang stand. Damals zogen die Ceremonien des Kultus den Hof und die ganze Elite der Pariser Welt dahin zum Genuß der Melodieen von den köstlichsten, jungfräuli chen Stimmen bei den Klageliedern des 8tabat mator und 1'o»edrae. Noch spricht die Tradition mit Be- wundrung von der Schönheit der Stimmen und der hohen Kunst des Gesangs der Fräulein Lemaure und Lefel. Diese Feste, diese allzuschönen Trauerfeste, zogen stets eine ungeheure Volksmenge nach Longchamps und veranlaßten daher auch ganz natürlich eine Menge Un ordnungen, mitunter die anstößigsten und schreiendsten Aergernifse, endlich in so hohem Grad, daß der Erz bischof von Paris dem Publikum den Zutritt in diese Abtei verbot, worauf dieses bei den Festen nur noch bis in das Gehölz von Boulogne ging. Hiernach erfolg ten statt der Kirchenmusik und der religiösen Feierlich keit die geräuschvollste Prachtentwicklung mit Equipagen und allen Arten des weltlichen Luxus. Fremde von allen Völkern Europa's versammelten sich daselbst und wetteiferten in einer wahrhaft wilden Ausschweifung des Luxus und der Frivolität, gegenüber der schreiend sten Armuth und des bedauerlichsten Elends. Vor der Revolution von 1789 war Longchamp in allen europäischen Landen berühmt geworden und hatte namentlich bei den Engländern einen so guten Klang gewonnen, daß die hochmüthigcn und eitlen Lords jährlich schaarenweise lediglich dieses Festes we gen herüberkamen, all' ihren Mammon zur Demüthi« gung der Franzosen hier zur Schau trugen, mitunter so überschwenglich albern sich zeigten, daß sie in Ka rossen mit massiv silbernen Nädern fuhren, ihre Rosse mit Silber und Gold beschlagen ließen. Die plötzlich hereinbrechende Revolution machte' dieser prachtvollen Promenade für einige Zeit ein Ende und dieses Fest gewann erst unter dem Konsulat wie der sein früheres Ansehn mit aller Pracht und Herr lichkeit. Zwei der berühmtesten Schönheiten jener Epoche, die Damen Tallien und Recamicr, wur den durch den Reichlhum und die Eleganz ihrer Toi lette die eigentlichen Illustrationen ihres Geschlechts und alle zahlreichen Schönheiten von Paris hatten nichts eifriger zu thun, als in Luxus und Pracht aus