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179 180 Allgemeines. Die Mode halt mit dem Wetter gleichen Schritt und erscheint, was das Winterliche daran betrifft, mit unter noch sehr schüchtern und bedächtig, jedoch nur dem von frühem Zeiten verwöhnten Auge, indem die jetzigen Winterkleider so leicht, frei und graziös erschei nen, daß man dabei an alles eher, als an Schutz ge gen Witterung, an Wärme und Wohlbehaglichkeit in denselben denken kann. Allein das durch die ehemali gen plumpen Mantel, formitablen Pikeschen und bä- renarlige Pelze verwöhnte Auge täuscht sich mit seinen Besorgnissen wegen der neuen Kleiderformen, welche sehr zweckmäßig für die Jahreszeit eingerichtet, gegen Wind und Kälte schützen, ohne den Körper zu entstellen, dessen Bewegungen zu hemmen. Indessen äußert sich auch dabei wieder eine große Mannichfaltigkcit der Ansichten und der Ausführung. Wollte ein deutsches Modejournal jetzt alle in Paris und London üblichen Modetrachtcn liefern, so müßte es nothwendrg vier bis sechs Blätter Modebildcr, jedes von einem halben Dutzend Figuren monatlich liefern, dafür dem Abonnenten jährlich eine Rechnung von 10 Louisd'or einscnden, ohne eigentlich etwas Anderes und Besseres für den deutschen Schneider und Mode freund erzielt zu haben, oder erzielen zu können, als eine Verwirrung der Begriffe bei der jungen Mode welt und bei manchen Schneidern, eine Beförderung des Karikaturwesens in den Modetrachten, welches, dem Himmel sey Dank, bei uns Deutschen seit geraumer Zeit verschwunden ist. Dem eigentlichen Zweck einer technischen Modezei tung gemäß, kann und soll diese dem deutschen Schnei der und modeliebendcn Publikum nur eine Auswahl der neuesten Modeerscheinungen von Paris und Lon don monatlich liefern. Eine Auswahl sage ich, nicht etwa ein Bildchen für einen Oberrock und eins für einen Frack, womit man in früheren Zeiten vollkommen ausreichte, weil damals, von Saison zu Saison so ziem lich nur eine einzige Form als eigentliche Modeform betrachtet wurde und der Schneider mit Nüancirung derselben sich den Kopf nicht sehr zerbrechen durfte Jetzt ist es damit anders und wird auch wohl so blei ben : die Mode bestimmt eine Grundform, einen Grund schnitt, einen TypuS, aber jedem Schneider bleibt es dabei überlassen, auf diesen Typus sich stützend, neue Modifikationen und Nüancirungen anzubringen, Varie täten zu bilden, für Bequemlichkeit oder Aussehen an den Nebendingen Acnderungen und Besserungen anzu bringen, seinem eignen Geschmack und dem Geschmack seiner Kunden mit einiger Freiheit zu huldigen, ohne dadurch gegen die Mode, d. h. gegen den allgemeinen Geschmack anzustoßen. Dieser unverkennbare Zustand der Dinge machte neben den gewöhnlichen Modezeitungen ein eigens für die Schneider und ausschließlich für deren Kunst be rechnetes Journal zum Bedürfnis Dabei mußte nicht nur die Vielseitigkeit der jetzigen Modeersindungen be rücksichtigt werden, sondern auch die Möglichkeit in Betracht kommen, dem deutschen Schneider die Nach bildung und Bearbeitung der neuen Formen möglichst leicht und bequem zu machen, ihn gegen Mißgriffe und Schaden, gegen Zeitverlust und nutzlose Ausgaben mög lichst zu schützen. Solche Betrachtungen waren es, was den Ver leger zur Herausgabe des gegenwärtigen Journals ver mochte und die Einrichtung desselben bedingte: keine Unterhaltungslcctüre, nichts in dem ganzen Blatt, was nicht dem Schneider unmittelbar förderlich seyn, seine Interessen berühren, seine Kenntnisse bereichern, seine Fertigkeit vermehren könnte. Dabei stets als bildliche Darstellung eine reichliche Auswahl der neuesten fran zösischen und englischen Modetrachten, eine Auswahl dessen, was man für Deutschland brauchbar und zweck mäßig erachtet, was für Klima und gesunden Geschmack passend erscheint, was für Kunden von verschiedenem Vermögen anwendbar und durchführbar sich zeigt. Da zu, was kein deutsches Journal vor uns geliefert hat, eine reichliche Auswahl von Patronen oder Zuschneide mustern der neuesten Modetrachtcn nach verschiedenen geometrischen Grundsätzen der besten französischen und englischen Meister, so gezeichnet, daß jeder Schneider mit halbwegs gesundem Menschenverstand und prakti scher Bildung danach zuverlässig arbeiten kann. Daß wir diesen Forderungen der Zeit redlich ent sprochen haben, beweist wohl der Umstand zur Genüge, daß dieses Journal bereits seinen fünften Jahrgang mit dem heutigen Blatt beschließt, daß es nach Außen an Verbreitung jährlich gewonnen hat und dadurch auch die Möglichkeit gewann, nach seinem ganzen In halt und Zweck jährlich vervollkommnet und verschö-