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35 36 dürfen wir wohl auch die Gebrechen der gesellschaftli chen Zustände mir gleicher Aufrichtigkeit beleuchten. Das ganze Wesen der Arbeit ist schlecht organi- sirl: der Arbeiter und Geselle trägt alle Lasten der Gesellschaft und muß alle natürlichen Folgen der in dustriellen Anarchie ans sich allein nehmen. Wer könnte bet einiger Einsicht diesen Sah unwahr nennen? Will der Arbeiter und Geselle dagegen auskom- mcn und rcklamircn, seiner Reklamation Gewicht und Ansehen verschaffen, so muß er nothwenvig vor Allem sich selbst moralisiren, sich selbst eines bessern Schicksals würdig machen, indem sonst die Glücklichen dieser Erde ihm stets mit Recht erwidern: Deine schlechten Sitten, deine niedrigen Gewohnheiten sind ein wesentliches Hin derniß deiner Besserstellung; ändere dich selbst zu dei nem Vorthcile, so wird und muß auch die Welt zu deinem Besten sich ändern. Manche Gesellen werden endlich des schlechten, lüderlichen, hülflosens Lebens müde, sinnen, wie sic sich demselben entziehen könnten und ctablircn sich als Mei ster. Nun fühlen sie zum erstenmal und plötzlich, daß Arm und Hand nicht allein genügen, daß man ent weder Geld oder Vertrauen bei den Kaufleuten haben müsse, und daß inan solches Vertrauen, die erste Quelle ihres künftigen Gedeihens und Glücks, nur durch gänz liche Veränderung des Betragens und der Lebensweise gewinnen könne. Hat der junge Meister diese Ein fuhr gewonnen, so schämt er sich seines frühem Wan dels, vermeidet sorgfältig jede Berührung mit seinen vorigen Kameraden, verachtet sie wohl gar, hat keine andere Gemeinschaft mehr mit den Gesellen, als wenn er Arbeit bei ihnen bestellt oder von ihnen empfängt, oder trocken das Geld hinwirft, welches sie sauer ver dient haben. Hieraus vorzüglich entspringt die Mehrzahl der für Meister wie Gesellen gleich nachtheiligcn Uebel- stände und Mißverhältnisse. Man erlaube uns, einige davon zu berühren. Nicht selten betrachtet der Meister den Gesellen lediglich als eine ArbeitSmaschinc, die er nach seinem Belieben und nach seinem Bedürfniß gebrauchen, oder, wenn diese Zeit vorüber ist, hinauswerfen oder zerbre chen kann. Der Geselle ist ihm nichts als eine Kraft, die er der sinnigen und zu seinem Vortheil hinzufügt. Spricht er mit dem Gesellen, so geschieht cS immer mit einer gewissen Verachtung und Härte; hat er ihm in Betreff der Arbeit den kleinsten Vorwurf zu ma chen, so geschieht cs gewöhnlich mit Hinzufügung der Drohung, ihn fortzujagcn. Die Gesellen arbeiten an den ihnen übertragenen Stücken, der Meister vermehrt unaufhörlich die Arbeit, ohne jemals auch an Erhöhung des Lohns zu denken. Dagegen streben die Gesellen unaufhörlich n.'.ch der Möglichkeit, die Arbeit zu ver mindern, ohne dabei die Bedürfnisse des Meisters zu berücksichtigen: eine Verbesserung in der Bearbeitung, die nur fünf Minuten Zeit erforderte, wird von ihnen unterlassen; arbeiten sie dagegen auf Taglohn, so hal ten sie zwar pünktlich auf die bestimmte Arbeitszeit, kümmern sich aber sehr wenig oder gar nicht um die Verwendung dieser Zeit. Natürlich ist der Meister dabei zu unaufhörlicher und strenger Beaufsichtigung gcnöthigt, dieses Verhällniß läßt die Gesellen in ihm nur einen widerlichen und feindseligen Spion erblik- ken, während er in seinen Gesellen nur gewissenlose und unmoralische Zwangsarbeiter zu sehen glaubt. AnS dieser beiderseitigen Stellung entspringen eine Menge Sticheleien, herber Worte, ärgerlicher Erklärun gen und Auftritte, heftiger Zänkereien darüber, daß die Gesellen gewöhnlich in guter Zeit den Arbeitslohn will kürlich erhöhen und die Meister in der schlechten Zeit ihn willkürlich hcrabdrückcn. AuS Allem entspringen denn die täglich häufiger vorkommenden Trennungen, der häufige Wechsel der Werkstätten, das müssige Her- umlaufen. Also ist von einer Seite der Meister zu ängstli cherer und ununterbrochener Aufsicht gcnöthigt, die ibn an mancher Arbeit verhindert und einen großen Theil seiner Zeit ihm raubt. Er wechselt oft mit den Ar beitern, kann also für die Bearbeitung in seiner Werk- l stätte keine stehende und regelmäßige Oetnung gewin nen. Alle materielle und moralische Verantwortlich keit, alle Sorgen für Ordnung und Oeconomie lasten auf ihm allein, wird er krank, so erkrankt mit ihm das ganze HauS und stirbt nicht selten. Auf der andern Seite gewöhnen sich die Gesellen durch Unregelmäßigkeit der Arbeit, wie durch den ewi gen Wechsel zwischen Bcschäftigtscyn und Müssiggang an allerlei schlechte Gebräuche, an eine unvernünftige Lebensweise, versinken in Armuth und Laster und blei ben gar oft darin. Da sie sich nur als Maschinen betrachtet sebcn, die man für eine gewisse Zeit ge-