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95 96 dmi ihnen, wie es schien, beschledcncn Wohlstände nichts entgegcnzustellen. Ihr Herz schlug so gewaltsam, daß Warten wurde ihr so lange, ihre Angst so drückend, daß sie endlich beschloß, zu ihren häuslichen Geschäften zurückzukehren, um ihre Rührung durch etwas zu zerstreuen. Sie stieg daher in das Zimmer ihres Mieth- manns hinauf, der diesen Morgen noch früher auf gewesen als Risol«, und schickte sich an, das Bette, ja überhaupt das kleine Gemach zurecht zu machen. Kaum waren unter diesen Beschäftigungen zehn Minulen verstrichen, als sie das Geräusch eines Wa gens wahrnahm. Es war Rifolv's Miethwagen. Der Schneider klimmte, jedesmal vier Stufen überschreitend, verwirrt und in unbeschreiblicher Aufre gung die Treppe hinan, und stürzte mehr, als er ging, in das Zimmer, indem er ausrief: „Ich verliere den Kopf, ich weiß nicht mehr, was ich thue, liebe Freundin. Ich soll ein Kleid an- mcssen und vergesse meine Maase mitzunehmen. Wo finde ich nun passendes Papier, um ein solches zu machen. Noch sind alle Kaufläden geschlossen; die Zeit eilt, denn cs ist bereits halb sieben Uhr." „Mache Dir nicht so viele Sorge, lieber Johann," unterbrach ihn Agathe, indem sie das nächste beste Blatt Papier, das ihr unter die Hand kam, ergriff. „Hier nimm!" Und damit gab sie Nifolö zwei Bo gen Papier. „Das ist gut," sprach der Letztere, „nun kann ich diese Maase unterwegs schneiden und nähen. Ich habe alles Uebrige, was ich dazu bedarf, Nadeln, Fa den und Scheere. Lebe wohl!" Hiermit schwang er sich in den Miethwagen, der wieder von dannen fuhr. In dem Borzimmer des Ministers augelangt, wurde Rifolv alle erforderliche Zeit, um sein Maas zu schneiden und zu nähen; denn neun Uhr hatte es längst geschlagen, als ihn der Kammerdiener holte, um ihn zum Minister zu führen. Der Schneider erwartete, einen vornehmen, stol zen, barschen und herabwürdigenden Herrn zu sehen, doch fand er im Gegeniheil einen sanften, wohlwollen den, freundlichen Mann, dem es Vergnügen machte, Pater Lambois Schützling zufrieden zu stellen, und der sich überdies für das naive Plaudern des Tourä- ners zu interessiren schien. Nifolv nahm sein Maas gleich einem Künstler, der sich auf sein Fach versteht, und fragte Sr. Ex- ccllenz, an welchem Tage sie ihr Kleid anzuprobiren wünschten. „Wann es Ihnen gut dünkt," erwiderte Fouchv. „Schreiben sie meinem Kammerdiener, wann Sie dazu bereit sind." Nifole richtete noch einige Fragen über Form und Farbe des Kleides an den Großwürdcnträgcr des Kaiserreichs, bückte sich bis zur Erde, ging, und schickte sich so eben an, in den Wagen zu steigen, als ein Huissier hcrbeieilte, ihn am Arm ergriff, und ihn, ohne ihm auch nur die mindeste Aufklärung zu geben, in das Kabinet des Herzogs von Otranto zurückführte. Dieses Mal war der Ex-Priester verschwunden, um dem Polizeiminister Platz zu machen, der blaß und aufgeregt in großen Schritten auf und abging, und Rifolv streng anließ: „Wo ist das Maas, daß Sie so eben vor mir genommen?" Dieser höchst bestürzt, überreichte dem Minister das Maas. Foucho trennte dasselbe auf und entfal tete cs. „Wodurch erregte ich das Mißfallen von Eurer Excellenz?" rief der Schneider, der in dieser Aufwal lung eine Ungnade und die Zurücknahme der Bestel lung des Kleides erblickte. „Stille," unterbrach ihn der Minister, die Stücke des Maases, das der Schneider so eben zerschnitten, zusammensetzcnd. „Ja, das ist es freilich! Woher ha ben sie diese Papiere?" „Meine Frau hat mir sie gegeben." „Wie ist diese zu denselben gekommen?" „Das weiß ich nicht." „Sie wissen es nicht. Nun, bei Gott, ich werde Mittel finden, Sie zum Sprechen zu bringen, junger Mann. Es lohnt sich nicht der Mühe, den Verschwie genen und den Helden zu spielen; Ihre Verschwiegen heit und ihr Heldensinn werden nicht lange anhalten." Fouchv, dieses sagend, neigte sich zu seinem Secre- tair herab, murmelte ihm leise einige Worte in das Ohr, und wandte sich dann zu einem Gensd'armerie- Ofsicier, welchen er hatte rufen lassen, und zu dem er sagte: „Dieser Mann wird umcr Aufsicht gestellt, er darf mit Niemand in Verbindung treten. Sie sichen mir für seinen Kopf." (Fortsetzung folgt.) (Modcl'ilder 28 —32. Patronen 29 — 33.)