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157 158 werfen, der hier zwei Meere mit einander verbindet und Europa von Asien trennt. Als die Sonne von den nahen asiatischen Bergen cmporstieg und sich in der tiefblauen Flulh abspiegelte, fuhren wir in die herrliche Straße hinein. Alle Schiffe Hallen sich wieder zusammengefunden. Gleich auf beiden Seiten sahen wir Festungen, weiße Leuchtthürme vor uns; letzterer bedarf es, weil hier gefährliche Stellen und namentlich auf der euro päischen Seite Brandungen sind. — Es war ein herr licher Anblick. Alles war mir neu und überraschend. Ich stand auf dem Verdecke, meine Augen wußten nicht, wohin sie zuerst sehen sollten. Rasch glitten wir mit dem Nordwind durch die Strömung. In einem gewundenen Lauf und fortwährenden Krümmungen zieht sich diese Meeresstraße wie ein breiter Strom zunächst zwischen steilen Bergwänden und Felsen hin. Rechts und links in jeder Krümmung ragt eine Festung, von den Wogen umspült, hervor. Dazwischen sind gewal tige Batterien aufgepflanzt. So sieht man eine Zeit lang auf der europäischen wie auf der asiatischen Seite nichts als Schlösser, Mauern, Thürme und Zinnen, weiterhin Berge, grünende Höhen, Hügel und Laub wälder. Ich zählte der Festungen bis zwei Stun den vor Konstantinopcl, wo sie aufhören, fünf, im Ganzen zehn. Als wir eine Stunde in den Kanal hincingcfah- rcn waren, wurden die Uferumgebungen beider Well: theile immer schöner, mannichfaltiger und das staunende Auge hatte einen Anblick, wie er ähnlich wohl in der Welt nicht zu finden ist. Alle Augenblicke neue Gestal ten in der herrlichen Gegend. Nachdem wir rechts bei Bujukverc, dessen Hauser sich um eine weite Bucht reihen, wo die Sommcrpalais der europäischen Gesandtschaften sind, und weiter hin unter bei dem schönen Therapia vorbeigefahren, wech selten Festungen, alle Schlösser, Dörfer und Städtchen mit einander ab. Eine Wohnung, eine Ortschaft reiht sich an die andere. Der Bosporus war wie eine breite prachtvolle Straße durch eine mehrere Meilen fortlau fende Stadt, deren eine Hälfte in Europa, die andere in Asien liegt. An uns vorüber schwebten bald naher, bald entfernter sich um die Berge reihend große kaiser liche Palläste (zwei auf der asiatischen, Sommerpalais des Sullans und zwei auf der europäischen Seite), unzählige Landhäuser, Springbrunnen, Moscheen mit vergoldeten Kuppeln und Halbmonden und dünne, schlanke Thürme (Minarets), überall morgenländische, halb flache Dächer und rothe Häuser. Dazwischen zie hen sich die schönsten Gruppen von Bäumen und eine Mannichfaltigkeit von herrlichen, fremden Gewächsen hin. Man sieht mächtige Platanenbäume, besonders viele Cypressen, aus deren dunklem, schwarzem Grün wunderschön die himme-hohen weißen Minarels empor steigen und auf den Höhen ganze Eypressenwälder. Ueberall, dicht am Uler, an den Bergwänden und an hohen Absätzen sind prachtvolle Gärten mit zahlreichen Gartenhäusern (Kiokks genannt), deren Fenster mit dich ten Gittern vcrschlcssen waren. Hier blühten die schön sten Rosen und -ohe Bäume gaben Schatten und Kühlung gegen die brennende Sonnenhitze. Auch der Himmel selbst war ein ganz anderer, eine milde, warme Luft wehte mir auf einmal entge gen. Hell und warm schien die Sonne aus der hei tern, blauen Höhe. Die Luft war so rein und klar und Alles hatte einen eigenen, leuchtenden Schein. Noch überraschender war das lebhafte Treiben und Gewühl, das von allen Seiten auf dem Lande wie auf der Wasserfläche mich umgab. An den Buchten und Landungsplätzen der Dörfer war ein buntes Getüm mel. Große Seeschiffe mit mächtigen Segeln, Dampf schiffe fuhren auf und ab, Fischer warfen ihre Netze und zogen Lausende von Fischen mit großem Geschrei her aus. Hunderte von Kaiks (leichte, kleine Nachen) be decken die lebhafte Siraße und glitten unaufhörlich rasch und leicht durch die klare Flulh. Und nun erst, wie seltsam und wunderlich waren mir die Menschen selbst, die in den Kähnen hin und her fuhren. Da sah man Schaaren von den Kaikschis oder Kahnsührcrn, ganz weiß gekleidet, mit weilen, türkischen Lcinwandhosen und weißen Hemden, dieAer- mel aufgezogen, rasch und geschickt die zwei Ruder mit bloßen Armen führend. Auf dem kalgcschorncn Kopfe halten sie ein rothcs Feß oder eine kleine runde Mütze mir einer blauen Pluse daran; die Füße waren mit rothen Schuhen bekleidet. Sie kamen mit Türken und türkischen Weibern gefahren. Mehrere vornehme Tür ken lagen in Pelze eingehüllt auf dem Boden des Schiffes, still und ernst aussehend. Vor ihnen stan den einige Schwarze, welche die langen Pfeifen stopf ten und hinreichten. Andere Diener hielten den Son nenschirm über ihre Herren. — Noch auffallender wa ren mir die Weiber. Ihr Angesicht war bis auf die Augen mit einem weißen Tuche ganz zugebunden. Sie