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13 14 folg§ Mer styn kann, sobald der Unterschied in Bau und Wuchs ihm augenscheinlich geworden ist, wozu cs doch eigentlich nur einer gesunden Praxis bedarf, welche nur durch eine große Kundschaft erlangt wird *). „Aus dieser Ursache glaube ich auch, daß so viele Schneider, welche sich in einer solchen günstigen Lage befinden und sich für Maasnahme und Zuschnitt einen eigenen Grundsatz gebildet haben, auf den Gedanken gerakhen sind: „„Man könne nicht durch die einfache Zusammensetzung mehrerer Linien eine Patrone gehörig darstellen und zu einem genügenden Resultate ge langen. "" „Ein wenig Eigenliebe muß man jedem Men schen zu gut halten, und eine glückliche Erfahrung brü stet sich gern mit dem Glauben, den rechten Weg auf rechte Weise gefunden und eingeschlagcn zu haben; sie bedenkt dabei nicht, daß es ein großer Fehler ist, dem blinden Glück im Menschenleben zu überlassen, was man durch eigenes Nachdenken, Lernen und Bemühen selbst erreichen kann. Sie will sich auch nicht erin nern, wie viel Zeit, und Verluste das blinde Herum tappen und Versuchen der Mittel und Wege ihr selbst gekostet hat und wie viele andere Schneider bei glei chem Herumtappen und Versuchen jämmerlich zu Grunde gehen, bevor sie auf den reckten Weg des blinden Glückes kommen, vielleicht ewig — brodlose Pfuscher bleiben! — Der Egoismus und die Eitelkeit denken überhaupt wenig im eigentlichen Sinn des Wortes. „Nein! der Schneider soll nicht als Blinder be ginnen, dem blinhIn Glück sein Dascyn und sein Fort kommen vertrauen, nicht getrost abwarten, ob der Zu fall ihn begünstigen werde, nicht in eine Lotterie setzen, ob etwa das große Loos der Kunst und des Glücks ihm zufalle, sondern menschlich denkend und menschlich thätig die Sorge für seine Bildung und für sein Glück ') Hieraus ist abermals zu erkennen, daß der Verfasser auf keine Meise gegen die Theorie gesprochen haben will. Denn ohne Geschick und Glück kann kein Schneider eine große Kundschaft erlangen; aber Geschick setzt Kennt nisse voraus und die Theorie ist die Quelle der Kenntnisse und muß also erlernt werden. Wie lächerlich würde die Zu- muthung an den Schneider klingen: „Du hast nicht nöthig, um die für deine Kunst unentbehrlichen Kenntnisse dich zu be mühen, so lange du nicht eine große Kundschaft hast, und hast du eine solche, so ertheilt dir die Praxis der Kenntnisse genug." Solchen Unsinn wird kein deutscher Schneider einem Meister, wie Lurroques, zutrauen. selbst übernehmen und dazu alle von unsrer Zeit ihm so reich gebotenen Mittel freudig benutzen! „Das Fundament der ganzen Schneiderei ist das Maasnchmen, und dieses Maasnchmen beruht, der verschiedenen Bildung der menschlichen Körper gemäß, auf festen Theorien, welche wieder auf manche Neben kenntnisse sich gründen, eine geübte Denkkraft und ver nünftigen Willen voraussetzen und bedingen. Also übe der Schneider vor Allem seine Denkkraft, sein An schauungsvermögen und bewerbe sich mit vernünftigem Wollen um die Erlangung der nöthigen Kenntnisse, welche allein vor blindem Herumtappen ihn bewahren, eine bewußte, freudige und gedeihliche Uebung seiner Kunst ihn möglich machen *)." Die Mode. Das Wort Mode ist vielleicht das bedeutungsvollste in unserer Sprache. Ich weiß nicht, woher es stammt, ob es dem Worte ÜUoeIu8 entnommen ist, ob deutschen, französischen oder Gott weiß! welchen Ursprungs, dies mag den Etymologen überlassen bleiben, so viel ist mir bekannt, daß es einen bedeutenden Platz in dem wei ten Bereiche des Sprachelements einnimmt, daß man öfter das Wort Mode als das Wort Philosophie in den Mund nimmt, obgleich diese die Basis des mensch lichen Wohls ausmacht, daß der von Generation auf Generation vererbte Glaube an die Herrschaft der Mode auch jetzt noch ungetrübt in vollem Rechte fortbesteht. Ein Begriff, der eine Macht erlangt hat, welche sich in allen Lagen des Lebens, in allen Zweigen der Wissen schaft, der Kunst geltend macht, muß nolhwendig man- nichfache Modifikationen seiner ursprünglichen Bedeu tung erleiden, muß nolhwendig verschieden ausgcfaßt *) Früher sprachen wir öfters den Wunsch aus, daß deutsche Meister und Kunstkundige diese Blätter zu Mitthei- lungen von Ansichten und Gedanken benutzen mögen, wie dies in England und Frankreich so vielfach zur Förderung der Kunst und zum Vortheil der Schneider geschieht. Wir wiederholen diesen Wunsch mit dem Bemerken, daß auch Ent gegnungen gleich angenehm und fruchtbar sind, indem aus Reibung der Ansichten und Kampf der Meinungen stets die Wahrheit als Endresultat hcrvortritt und gerade hierin der Hauptvvrtheil, das eigentliche Wffen der Oeffentlichkeit beruht.