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16 Betrachtungen über die rationelle Behandlung der Misse. Die Aufgabe des Wasserbautechnikers, in ihrem Gesammtumfange betrachtet, läßt sich mit wenigen Worten in der Forderung zusammenfassen, daß er die Gewässer der Erdoberfläche dem Menschen nnterthänig mache, indem er die Gefahren beseitigt, welche sie bringen, die Vortheile ausnützt, welche sie bieten. Gefahren und Vortheile fallen gleich schwer in die Wagschale; wer zählt die Tausende von Menschenleben, die schon dem tückischen Elemente unverschuldet als Opfer verfallen sind, wer mißt die Flächen, die durch dasselbe in Wüsten verwandelt wurden? Wer aber ist auch im Stande, den ewigen Segen in Ziffern auszudrücken, den die Gewässer der Erde dem Menschen fort und fort bringen? Man braucht, um diese verderblichen und doch auch wieder wohlthätigen Wir kungen zu erkennen, nicht das auf der Erdoberfläche überhaupt befindliche Wasser zu berücksichtigen, es genügt, bloß die größeren Wasserläufe ins Auge zu fassen, die wir Bäche, Flüsse, Ströme nennen. Von ihrem Ursprung bis zu ihrem Ende wirken sie bald verderblich, bald nutzbringend; verderblich durch fortwährende Angriffe auf ihre Ufer, namentlich bei höheren Wasserständen, durch die sonstigen Verheerungen, welche jedes Hochwasser mit sich zu bringen pflegt, durch Versumpfungen, die sie in den Thalflächen veranlassen, — nutzbringend durch die fortwährende Spendung des Alles belebenden Wassers, durch Quellenbildung, durch ihre meteorologischen Einwirkungen auf die Umgebung, durch ihren oft außerordentlich reichen Gehalt an befruchtenden Bestandtheilen, die bei höheren Wasserständen auf den Thalflächen abgesctzt werden, durch die ihnen inwohnende unerschöpfliche Arbeitsgröße, welche die billigste Kraft quelle und das billigste Transportmittel für die Anwohner bildet. — Betrachten wir die hier angeführten Punkte etwas näher. Von den fortwährenden, oft sehr bedeutenden Uferangriffen wissen namentlich die Bewohner der GebirgSthäler zu erzählen; man kennt dieses Uebel aber auch im Flachland sehr gut, man weiß, daß es jahrelanger Anstrengungen bedarf, um einzelne, stark bedrohte Uferstellen dauernd zu schützen. Ein partieller Uferschutz genügt eben nur in seltenen Fällen, meistens wird es nöthig sein, die betreffende Flußstrccke in einer gewissen Ausdehnung ober- und unterhalb in einen geordneten Zustand zu ver setzen, sie mit einem Worte zu „corrigiren". Solche Correctionen sind aber um so schwieriger und kostspieliger, je größer das Gefälle ist, je häufiger die Wasserstände wechseln und je beweglicher die Sohle des betreffenden Flusses zu sein pflegt. Es sei gestattet, als Beispiel hierfür die Veränderungen anzuführen, welche seit etwa fünfzehn Jahren die Isar in der Nähe von München erlitten hat. Wo jetzt lieb liche Parkanlagen, durch segensreiche Hand geschaffen, das Hochufer bedecken, sah man noch fast vor einem Decennium kahles Gerölle die steile Böschung bilden; jedes Hoch wasser bedrohte den Abhang, die angrenzenden Felder waren dem Abbruch preisgegeben. Nun rauscht der Fluß in geregelten Serpentinen weitab von dem bedrohten Gelände vorbei und ein Blick von der Bogenhausener Brücke abwärts überzeugt uns, daß auch noch auf lange Strecken hinab ein regelmäßiger Flußlauf gesichert ist. — Sahen wir hier einen Fluß, der bei ansehnlicher Wassermenge, bei 4 bis 5 Fuß mittlerer Geschwindigkeit und einem durchschnittlichen Gefälle von 1 auf 700, in ungezähmtem Laufe große Verheerungen zu bewirken im Stande ist, so muß anderer seits auch derjenigen Wasserläufe gedacht werden, welche mit trägem Laufe oft durch die fruchtbarsten Ländereien sich hinziehen. Auch sie greifen, wenn gleich weniger hef tig, ihre Ufer an; sie haben aber sehr häufige Gelegenheit hierzu wegen der vielen