Volltext Seite (XML)
302 Deutsche Gewerbezcitung. sl 6. August — (18 Chemnitz dahin zu gehen, daß der Jnnungsverband erhalten werde aber nicht der JnnungSzwang. Keine Verbietungsrechte! Denn — wie der Handwerkerverci» sagt — das korporative Wesen (die Gewerbsgenosseiischaft) kann ohne Beschränkung des Arbeits gebiets recht wohl bestehen. Der Handwerker soll frei arbeiten und frei handeln könne» sagen wir. Wen» die Handwerksinnungen keine Verbietungsrechte in Anspruch nehmen, wie können die sogenannten Kramerinnungen beanspruchen, daß den Handwerkern den Kleinhandel genommen oder versagt werde? fragen wir. Wir lassen jetzt das Gutachten des Handwerkervereins in Chemnitz unverkürzt folgen. „Der Entwurf einer neuen Gewerbeordnung für das König reich Sachsen stellt in seinen allgemeinen Motiven als leitenden Grundsatz auf, weder das Zunftwesen im Sinne der altern Gesetz gebung, oder gar noch dessen Schärfung beizubehalten, noch zur völligen Gewerbefreiheit überzugehen, vielmehr den Versuch zu machen, ein gemischtes System, welches die Vorthcile beider in sich schließt, einznführen. Für die Beibehaltung des bisherigen Zunftwesens hätte man fick deshalb nicht entschließen können, weil schon die Verfassung desselben den Anforderungen der Gegenwart nicht entspreche, anderntheils aber auch nicht geleugnet werden könne, daß in Bezug auf Billigkeit und in vielen Fällen auch in Bezug auf Qualität der Erzeugnisse der zunftmäßige Betrieb mit dem freien nicht konkurrirc» könne, weil die ungeheuren Fortschritte der durch die Naturwissenschaitcn getragenen Technik dem freien Gewerbe betriebe eine Menge von Mitteln zu besserer und billigerer Pro- dukzion darbieten, welche der zunflinäßige Handwerker, nach allen Seilen hin an Schranken stoßend, welche nicht in der Natur der Verhältnisse liegen, sondern künstlich jede natürliche Entwickelung durchkreuzen, nur unvollkommen gebrauchen könne. Hingegen hätte man sich auch nicht für völlige Gewerbe- freiheit entscheiden können, obgleich sie technisch und auch wirth- schafilich unleugbar das meiste leister, und obgleich in nicht ferner Zukunft Sachsen nur von solchen Ländern umgeben sein wird, welche Gewcrbefreiheir cingeführt haben, weil nach de» in solchen Ländern gemachten Erfahrungen die unbedingte Gewerbefreiheit jeden organischen Zusammenhang unter den einzelnen Gewerbe treibenden aufhebe und damit nicht nur den Stand derselben als solchen vernichte, sondern auch den Boden für Lösung anderer Fragen, namentlich für Einrichtung zweckmäßiger Unterstützungs- kassen, für diseiplinelle Gewerbegerichte u. s. w., so ungünstig als möglich gestalte. Die Absicht ginge nun dahin, ein gemischtes System zu befolgen und soll als Ausgangspunkt der neue» Gewerbeordnung „Erhaltung und möglichste Ausdehnung des korpo rativen Wesens ans alle Gewerbe und Beschaffung „der Grundlage für gemeinnützige Institute, anderer seits aber auch formelle und pekuniäre Erleichterung „des Eintritts in die Korporazionen, thunlichste Frei- „heit in Wahl und Wechsel des Berufes und i» der „Verwendung der Arbeitskräfte und möglichste Be seitigung der der technische» Vollendung der Pro dukte entgegen stehenden Beschränkungen erzielt „werden." Dieser Grundgedanke, dieses aus gewerblicher Freiheit und zünftiger Beschränkung zusammengesetzte System, welches der Entwurf selbst einen Versuch nennt, der, wenn er gelingt, große Vortheile verspreche, ist nun in der neuen Gewerbeordnung in den Hauptzngcn wie nachstehend durch- und ausgeführt. Die Zünfte der Innungen soll nicht nur foribestehen, son dern das Jnnungswesen unter verschiedenen Modistcationen auch auf einige bisher freie Gewerbe ausgedehnt werden, wobei einige bis jetzt völlig zünftige Gewerbe, als z. B. Färber, Seifensieder u. dgl. den innnngsäbnlichen, andere zeither freie, als z. B. Schlauchmacher, Strumpfstricker u. dgl. den zünftigen Gewerben beigezählt werden sollen. Das den Zünften seither zugestandene Verbietungsrecht soll aufhören und an dessen Stelle wegen Ueber- griffcn Unbefugter blos das Recht trete», der Obrigkeit davon Anzeige machen zu dürfen, welche dann das Nöthige zu ver fügen haben soll. Die sämmtlichen Gewerbe sollen eingetheilt werden in freie Gewerbe, Polizeigewerbe, Znnungsgewerbe, Hausindustriegewerbe, Fabrikgewerbe und Handels gewerbe. Zu den freien Gewerben sollen gehören Erdarbeiten, Holzspalten, Pflastern, Bürstenmachen in einigen gebirgischen Aemtern, Blumenmachen, Bleichen, Frauenkleidermachen und andere ähnliche Arbeiten. Diese freien Gewerbe sollen von Jedermann ohne Unter schied des Geschlechtes und des Alters und überall betrieben wer den können. Ein korporativer Verband unter diesen Gewerben soll nicht stattfinden, jedoch soll die Regierung, wo sie es für nöthig er achtet, für einzelne dieser Gewerbe oder für einzelne Orte Kranken- und Unterstützungskaffen mit Zwangspflicht zum Beitritt einführen können. Unter die Polizeigewerbe sollen gezählt werden Aufläder, Sänftenträger, Lohndiener, Fremdenführer, Boten, Leichenwäschcr, Lohnfnhrleute, Schank- und Gastwirthe, Brauer, Destillateure, Musikanten, Schorn steinfeger, Agenten, Turn-, Fecht-, Schwimm- und Reitlehrer und mehr dergleichen. Alle diese Gewerbe sollen mehr oder minder unter beson derer polizeilicher Aufsicht stehen und soll der Obrigkeit frei stehen, ^ für die einzelnen Gewerbe korporative Organisazionen, Regulative und sonst erforderliche Einrichtungen anzuordnen. Ein korporativer Verband, außer in der angedeuteten Bezie hung, findet auch bei diesen Gewerben nicht statt. Zum selbstständigen Betriebe dieser und der nachfolgenden Gewerbearten soll das vollendete fünfundzwanzigste Lebensjahr erforderlich sein. Zu den innungsmäßigcn Gewerben, welche in 9 Gruppen zerfallen, sollen gehören I. Gruppe. 1) Grob- und Hufschmiede, Nagelschmiede, Löffelschmiede und Bergschmiede. 2) Schlosser, Sporer, Windenmacher, Großuhrmacher und Büchsenmacher. 3) Kleinschmiede, Zeugschmiede, Waffenschmiede, Feilen hauer und Messerschmiede. II. Gruppe. 4) Klempner, Röhrenmacher und Kupferschmiede. 3) Gelb- und Glockengießer und Zinngießer. 6) Gold- und Silberarbeitcr und Juweliere. 7) Gürtler und Bronzearbeiter. III. Gruppe. 8) Drechsler. 9) Kamm- und Bürstenmacher. IV. Gruppe. 10) Tischler, Büchsenschäfter und Glaser. I I) Böttcher. 12) Wagner und Stellmacher. 13) Zimmerleute und Schiffszimmerleute. V. Gruppe. 14) Maurer und Steinmetzer. VI. Gruppe. 15) Sattler, Riemer, Beutler und Tapezierer. 16) . Schuhmacher und Pantoffelmachcr. 17) Buchbinder. VII. Gruppe. 18) Schneider. 19) Kürschner. 20) Hutmacher.