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51 „Ich habe sie einmal von Weitem gesehen, aber nie in der Nähe." „Morgen wollen wir sie besuchen, wenn Du willst." „Bin's zufrieden, morgen früh, und diesen Abend wollen wir uns niederlegen." „So zeitig" Ich machte unwillkürlich die Bewegung eines Men schen, der nach seiner Uhr sehen will. „Verdammte Witwe!" rief ich in so aufgebrachtem Tone, daß Bcntam davon heiterer Laune wurde, „wo mag meine arme Uhr sein?" „Bei irgend einem ehrbaren Hehler und Geliebten der schönen Lady, die vielleicht eben in diesem Augen blicke einen übermüthigen Toast auf den Pariser aus bringt, den sie beraubt. Aber warum hast Du keine Sicherheitskette." „Warum, warum? Zum Satan, das ist ganz einfach! weil man mir sie am letzten Feiertage beim Herausgehen aus den Tuilerien vom Halse genommen, nachdem man sie ganz nahe bei der Uhrtasche durchgc- schnittcn." „So war sie von Gold?" „Und von was sonst? Meinst Du etwa von Neu- silber?" „L)u hast ^!e.,e; das hieße einen Dieb betrügen, und dazu bist Du zu zartfühlend, nicht wahr?" „Hör' auf! genug des Scherzes! — Laß uns von der Insel Wight sprechen. Sie ist äußerst merkwür dig, nach dem, was ich mir habe erzählen lassen; sie hat Gegenden, welche den anmulhigsten England's nicht nachstehen. Die Aussichten dort sind prächtig und das Leben vortrefflich, was Deiner Wohlschmek- kerei sehr zu Statten kommen wird; endlich und vor zugsweise, findet man daselbst herrliche Frauen." „Die Frauen werden Dich noch zu Grunde richten, Georg; ich habe Dir das lange prophezeiht. Doch mag es sein um die Frauen der Insel Wight; zum Glück bist Du nicht mehr zu bestehlen!" — „Weißt Du, daß die Insel Wight historische Erin nerungen hat? Weißt Du, daß vor mehrern Jahrhun derten, wenn ich mich nicht irre, im Jahre 1176, da selbst ein Blulregen gefallen?" „Ich glaube nicht an einen Blutregen, Georg." „Das hätte ich denken können, Du leugnest die verbürgtesten Sachen; auf Ehre, ein Skepticismus, der einen rasend machen könnte." „Laß uns schlafen gehen." Am folgenden Tage waren wir bei früher Zeit auf den Füßen. Wir begaben uns in den Hafen. Ich wählte für den ersten Theil der Reise ein kleines Se gelschiff, denn ich wußte, daß wir unterwegs dem Dampfschiffe begegnen würden, das jeden Tag von Portsmouth nach der Insel Wight geht. Wir bestie gen das Schiff, und ich setzte mich stolz an's Steuer ruder. Der Schiffer ließ mich gewähren; dennoch hielt er es der Vorsicht gemäß, sich nicht von der Küste zu entfernen und sein Segel selbst zu leiten. Bentam ward von Furcht ergriffen, und sagte mir mit scherz haft feierlichem Tone: „Georg, bedenke, daß ich fast verlobt bin; keine Thorhcit!" Das Schiff tanzte lustig über die Wellen dahin, und ich konnte nichts Besseres thun, um Bentam von seinen furchtsames Gedanken abzubringen, als ihm irgend etwas Interessantes zu erzählen; ich begann mit der Geschichte der Kämpfe zwischen England und Frank reich gegen Ende der Regierung Ludwigs XI V. „Weißt Du, wo wir sind, Bentam?" „Auf einer gebrechlichen Barke, geführt von einem gewissen Georg, also der Gnade Gottes Preis gegeben!" „Jetzt handelt sich's nicht von wir. Sichst Du, Bentam, hier war es, wo am^W?^' ' 5>err von Tourville, Commandant von zw.. Linienschiffen, von Toulon kommend, auf die engu,-, holländiichc Flotte stieß, welche hundertundzwölf Fre gatten zählte. Es war acht Uhr des Vormittags, man stellte sich in Schlachtrcihe, der Kampf sollte beginnen, Manoeuvres von beiden Seiten" „Unseliger! so gib doch Achtung, Du wirst uns umwerfen." Ich hatte in der That dem Steuerruder eine falsche Richtung gegeben, und der englische Matrose machte mir dies durch einen energischen Fluch oder etwas dem Aehnliches bcmerklich; denn ich verstehe schlecht Eng lisch, welches Bentam für uns Beide sprach. Ich fuhr fort: „Der Kampf war furchtbar. Er dauerte, sagt man, neun Stunden. Erst um fünf Uhr Abends trennte man sich. Die Franzosen hatten sich mit Ruhm be deckt, die Holländer mit einem Muth geschlagen, dem selbst Herr von Tourville Gerechtigkeit widerfahren ließ. Was die Engländer anlangt, fügte ich halbleise hinzu, um von dem Matrosen, der sich pfeifend mit den Segeln beschäftigte, nicht verstanden zu werden, so erzählt das Gerücht Manches zu ihrer Schande. Ihr Admiral überließ den Holländern den schwierigsten und