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629 Kerkers, wohin man ihn gebracht hatte. Nach Verlauf eines Tages, den er unter Wachen und Beten an Jehova und bei einem Stück Haferbrod zugcbracht hatte, erschien ein glcißncrischer Gottesmann, um ihm seinen Scclcnbcistand zu leihen, um ihn zu bekehren, auf daß er in das Himmelreich eingche, denn in vicr- undzwanzig Stunden sollte er verbrannt werden. Wü- thend schlug er den Geistlichen in das feiste Gesicht und begehrte, daß man ihn ruhig sterben lasse. Mit verachtenden Blicken verließ ihn der Mönch und man bekümmerte sich nicht weiter um ihn. Mit dem An bruche des andern Tages ward er vor den Prior und die ganze Versammlung der Klostereinwohncr geführt und von Erstcrem gefragt, ob er cs cingestehe heimlicher Jude zu sein. Ohne Widerrede bejahrte er diese Frage und.Alle staunten, mit welcher Hast er den Tod suchte, ^chon vorher hatte man einen Scheiterhaufen errichtet, brachte ihn also dahin und ließ ihn nochmals sch> auch als meinen Erlöser an, der ich so ma Jahrhundert hcrumwanderle in der Welt, ohne zu en Väl.'rn versammelt werden zu können!" Jedem der Anwesenden war dieser Ausruf auffallend und der Prior fragte ihn daher, wozu er als Ketzer jene Worte an den Weltheiland richte. Der Jude -">'t freudigen Mienen: „O warum soll ich den größten Gott anerkennen -^»„el, ich bin Ahasverus, der von dem Heilande, als er zur Richtstätte das Kreuz tragen mußte, an dem er den martervollen Tod leiden sollte, zum ewigen Leben auf Erden verflucht worden bin, und da ich so viele Jahre auf dieser Erde umhcrwan- dcre, so kann mir nur der Tod erwünscht sein! Da- o, verbrennet mich! Verbrennet den ewigen !" — „Nie, und nimmer!" sprach heftig der „Du Elender, der Du unfern Herrn und Mei- cstcrt hast, der Du von ihm verflucht worden )u neigst noch Jahresende ein lasterhaftes bcn fuhren!" Er wandte sich zu den Novizen, entledige ihn seiner Fesseln, stäupe ihn und lasse fen'" ward wörtlich befolgt und in Zeit von vier n befand sich unser Fremdling auf freien Füßen ^r glauben, daß die Lust zur Wiederholung einer Reise ihm wohl auf immer vergangen sein Origineller Brief eines armen Teufels*). Leipzig. April 18.. Hochverehrtester Herr! Ein armer Teufel, der sich nähren will, geht nie ganz zum Teufel. Mit acht Groschen kam ich nach Leipzig; jetzt leb' ich schon in der fünften Woche hier und cs ist immer gegangen. Ich bewohne ein bescheidenes Stübchen in den „drei Rosen;" allerdings nicht das glänzendste in der weltbe rühmten Handelsstadt Leipzig; allein voll cigenthüm- licher Reize. Die Meubcls sind über allen Tadel er haben. Ein mit Seegras ausgcstopftes Sopha ermun tert durch seine Hartleibigkeit zu ausdauerndem Fleiße. Die mittelalterliche Commode erinnert an die Mosaische Schöpfungsgeschichte, ncmlich an die Zeit, da noch nichts erschaffen war. Der Spiegel besitzt die " schaft, daß er alle Bild,»- ^ fehlt; wahr- . . ..... ...rme Wirthin geglaubt, daß ich nicht über überflüssige Feuchtigkeiten zu disponircn habe. Keine lebendige Seele stört mich hier in meinen Betrachtungen. Sämmtliche Wanzen, von denen cs hier früher gewimmelt haben soll, sind bei meinem Er scheinen ausgerissen; nur eine einzige, wahrscheinlich eine Schwangere, die hier ihre Niederkunft abwarten will, hat mich vergangene Nacht gezwickt. Wenigstens ihrem Appetite nach mußte sie für zwei essen. Zwar ver sichert mich die Köchin, daß sich bei dem frühem Be wohner der Stube, einem promovirtcn Advocaten, dann und wann vier bis fünfgnügsame Schmeißfliegen cin- gefunden hätten, allein trotz der warmen Maienluft, die jetzt hereinströmt, hat sich noch keine bei mir blicken lassen. Ist die Erde nach Klopstock im Wcrhältniß zum All ein Tropfen am Eimer, so ist imine Stube in Bezug auf das ganze Haus eine Thräne am Backenbart. Und doch lebe ich sehr glücklich darin, quälte mich nicht zuweilen der Neid und gekränkter Ehrgeiz. Mein Nach bar zur Reckten, ein halbverunglückter Student, besitzt noch fünf Bücher, einen Stiefelknecht, eine Papierschere und auch, wie ich gestern zu meinem Erstaunen be merkte, eine halbe Stange Siegellack. Mein Nachbar zur Linken, ein bankrotirter Federschmückcr, so schmale *),Diese originelle Zuschrift entsendete der jetzt verstorbene Vc ' "^-r an seinen ehemaligen Prinzipal, welchen er in Folge ein mit Hinterlassung seiner Habsclizkelten plötzlich verl 'ich auf gut Glück nach Leipzig gewendet hatte.