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625 kommentirende Bemerkung darüber zu machen gewagt hätte. Die Sonne war, so zu sagen, für diese Leute an diesem Tage nicht aufgegangen. In Betreff der Kaiserin, so hatte sie die Gewohn heit, sich jedesmal, so oft Napoleon zur Armee abzu reisen beabsichtigte, (was beinahe immer zur Nachtzeit geschah), vollständig angekleidet auf ihr Bett hinzuwer- fcn, und so in ihrem Kabiuet den Augenblick abzu warten, in welchem sie davon benachrichtigt würde, daß der Kaiser in den Wagen zu steigen bereit sei. In der Regel wußte sie cs dann cinzurichtcn, ihm auf sei nem Wege dahin zu begegnen,^ um ihn noch einmal mit all' der verführerischen Leidenschaftlichkeit einer zärt lichen Gattin umarmen zu können. Allein diesmal hatte sie von der so plötzlichen Ab reise durchaus keine Ahnung, und so wie sie daher die diesfällige Nachricht erhielt, vermochte sic nicht länger in ihrem Bett liegen zu bleiben, sondern vor Schreck und Ucberraschung an allen Gliedern zitternd, und kaum angekleidet, nur in ein leichtes Nacht-Ncgligö cingehüllt, eilte sie hastig durch die großen Apparte ments, und trat dergestalt in das Schlafzimmer Na- poleon's Von Neuem beschwor sie ihn hier in den aller- zärtlichsten Ausdrücken, ihr doch wenigstens erlauben zu wollen, ihn bis Straßburg begleiten zu dürfen. Na poleon, indeß schon etwas ungeduldig über die Lang samkeit der Domestiken, widersteht ihr jedoch wiederholt, wird sogar ärgerlich, indem er mit dem Fuße lebhaft auftritt und ihr in trocknem Tone dabei sagt: — „Nein, Madame! Tausendmal Nein! Es vürde dies scheinen, als ob wir Beide den Verstand rerloren hätten." Vergebens bot Josephine all' ihre Ueberrcdungskunst ms; vergebens bat sie auf ihren Kniecn, ihr doch diese Litte nicht abzuschlagen; endlich aber, nachdem sie Al les umsonst sicht, nimmt sie zu dem einzigen ihr noch übrig bleibenden Mittel, nämlich zu den Thräncn, ihre Zuflucht; diesen hatte Napoleon, wie sie wohl wußte, roch niemals zu widerstehen vermocht. Indem sie llso laut zu schluchzen anfängt, und ihre Augen mit lem Schnupftuch bedeckt, ruft sie im Tone der reizend ien Verzweiflung: — „O, mein Gott; mein Gott! ich bin die aller- anglücklichste Frau " ..Im ganzen Kaiserreiche; nicht wahr?" ergänzte der Kaiser mit satyrischem Lächeln. Jedoch bald da rauf sie mit einem Blicke voll unaussprechlicher Liebe betrachtend — denn das Mittel hatte wirklich gesiegt — ergriff er sanft ihre Hände, legte sie in die seinigcn, und, augenscheinlich gerührt, fügte er im Tone der in nigsten Zärtlichkeit hinzu: — „Nicht doch, meine liebe Freundin; weine nicht so, man könnte sonst glauben, Du sprächest wahr." Plötzlich ändert sich jedoch wieder die Scene, mit einem Male wird seine Stimmung wieder anders, und mit Lebhaftigkeit im Zimmer mehrmals auf- und ab- schrcitend, ruft er unwillig aus, indem er seinen Hut weit von sich wcgwirft und die Handschuhe konvulsi visch zusammcndrückt: — „Ob es wohl möglich ist, hier seinen Geschäften jemals ungestört nachgehen zu können? Wahrhaftig! das ist nicht zu ertragen!" Damit schritt er rasch in das anstoßende Zimmer. In diesem Augenblicke fällt ihm, wie vom heiligen Geist eingegeben,. ein vortreffliches Mittel bei, Josephi- ncn daran zu hindern, ihn zu-begleiten; rasch kehrt er wieder zu ihr zurück, und mit Lebhaftigkeit sagt er zu ihr: „Wohlan! ich will es zugcben, aber nur unter der Bedingung, daß Du so reisest, wie Du hier bist; denn ich habe nicht einen Augenblick Zeit, länger auf Dich zu warten. Also vorwärts!... ich müßte schon längst den Rhein überschritten haben." — „Topp!" rief Joscphine, zu seinem nicht gerin gen Erstaunen, entzückt aus, „das ist mir Alles ganz gleich, ich verlange nichts Besseres; also vorwärts, rei sen wir ab!"... Und mit diesen Worten faßte sie den Kaiser am Arm, indem sie ihn mit sich fort zu ziehen versuchte. Napoleon hatte sich also, wie wir sehen, in der ei genen Schlinge gefangen. Einen Augenblick unschlüs sig, schien er darüber nachzudenkcn, was nunmehr zu thun; doch rasch wieder seinen Entschluß fassend, ent stieg er mit Josephine der breiten, marmornen Treppe. Unten angekommen, näherte er sich mit ihr dem großen Portale, und hier warf er so zu sagen, seine naive Frau, mit der Nachtmütze von Madras aus ih rem Kopf, mit Pantoffeln an ihren Füßen und nur von einem leichten, seidenen Schlafrocke umhüllt — in den bcrcitstehenden Wagen. In humoristischem Tone, der aber seine ganze in nere Resignation vcrrieth, sagte er dabei zu ihr: „Wohlan! Du hast es so haben wollen; ich hoffe daher zum Wenigsten, daß Du Dich nicht darüber beklagen wirst."