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615 So wie der General in die Versammlung trat und sein Gesuch verbrachte, crbob sich Bonaveutura Nie- mojowski zum zweiten Male, und trug darauf an, dem Commissair Krukowiccki's das Wort zu verbieten; auch der Rrichstags-Marsckall erklärte, „daß er augenblicklich den Marschallstab niederlcgen würde, wenn einem Ge neral, der den Reichstag zu entmuthigen suche, in die sem Saale ferner zu sprechen erlaubt sei." Fürchterlich donnerten die Kanonen. Noch immer stritten sich die Vertreter des polnischen Volkes, ob die verlangte schriftliche Erklärung zu geben sei oder nicht. Man wünschte bei der wachsenden Gefahr gern durch Unterhandlungen Zeit zu gewinnen. Endlich machte ein Mitglied des Reichstages den Vorschlag, dem Krukowiecki das schriftlich zu geben, was man ihm mündlich habe erklären lassen, nämlich daß er als Regierungspräsident zu Unterhandlungen ermächtigt sei. Dadurch könne er sich bei dem Feinde ausweisen und da man die Gesetze blos citire ohne die Worte, so bleibe dem Reichstage immerhin das Recht, seine Bestätigung nachher zu geben oder zu verweigern. Man könne sich auch, um dem Feinde größeres Ver trauen einzuflößen, auf einige Zeit vertagen. Prondzynski erbielt daher die Antwort, daß der Reichstag eine schriftliche Erklärung geben werde. Sie ^r'-ich abqefaßl und lautete also: nt des Senates und der Mar- ^ ^ der Landbotcnkammcr: „Auf die Anfrage des Präsidenten der Nationalre gierung, wie der Artikel IV. der Reichstagsabstimmung vom siebzehnten August dieses Jahres zu verstehen, ha ben wir die Ebre zu erklären, daß der Präsident der Nationalrcgierung, dem Geiste der frühem Gesetze, in Verbindung mit der so eben gedachten Bestimmung gemäß, das Recht bat, in Unterhandlungen, welche die Beendigung des Kriegs bezwecken, zu treten." Nach Ablieferung dieser Erklärung vertagte sich der Reichstag bis auf den Abend und gegen vierzig Land- botcn eilten in die Verschanzungen um zu kämpfen. Andere bemühten sich, einen allgemeinen Volksaufstand zur Vertheidigung der Hauptstadt zu Stande zu brin gen. Dies wußte aber Krukowiecki durch die ergriffe nen polizeilichen Maßregeln zu verhindern. Dieser in den Annalen Polen's verfluchte und in der Weltgeschichte gcbrandmarkte Verräthcr, so wie er die schriftliche Erklärung des Reichstages erhalten, und recht gut daraus ersah, daß man nur eine List, den Feind hinzuhaltcn in seine Hände gelegt hatte, schrieb sogleich einen entehrenden Untcrwcrsungsbrief an den Kaiser von Rußland, worin er sein Volk dem Erbfeinde ohne alle Bedingung überlieferte; und schickte ihn Abends sechs Uhr an den Marschall Paskewitsch in's russische Lager. Während diese große Verrätherei in's Werk gesetzt wird, tobt ein unermeßlicher Kampf auf der ganzen zweiten Linie. Das Kanoncnfcuer übersteigt alles bis jetzt Gehörte. Das Gemetzel ist entsetzlich. Das Blut fließt in Strömen. Polen und Russen erwerben sich unverwclkliche Lorbeeren. Es ist Abends zehn Uhr; die Russen sind bis an die Barriere von Wola vorgedrungen. Gleichwohl hat der heldenmüthige Uminski noch kein Werk seiner zwei ten Linie verloren. Das Glück und der Sieg scheint sich auf die Seite der Polen zu neigen; denn von Wola her ist der Feind zu weit vorgedrungen, so daß plötzlich Uminski mit seinem ganzen Corps in den Flanken und im Rücken des russischen Centrums steht. Der Generalissimus Malachowski, welcher diese Glücks sonne emporsteigen sieht, um den Schlag für den Feind so furchtbar als möglich zu machen, sendet eiligst nach der Division Rybinski, welche an der entscheiden den Bewegung Theil nehmen soll. Langt diese tapfere Division zeitig genug an, so wird die russische Armee in den Gräben von Warschau ihr Grab finden, so ist Polen ge rettet. Es sind die verhängnißvollsten Augenblicke in dem ganzen Aufstande. Malachowski harret mit klopfendem Herzen von Minute zu Minute; da sprengen wuth- schäumend und todtenbleich seine Adjutanten heran. Der Schurkenstreich Krukowiccki's ist gelungen; die Division Rybinski hat Befehl zum Rückzuge erhalten und bereits die Verschanzungen verlassen; die ganze Re serve-Artillerie ist nach Praga gerückt und wo Mala chowski und Uminski hinkommen, finden sie die Po sitionen verlassen und die Truppen in rückgängiger Bewegung. Alle Befehle durchkreuzen sich. Außer sich sprengt Malachowski nach der Stadt zurück. Es ist zehn Uhr Abends; der Reichstag wieder versammelt. Von allen Orten lausen offene Beschwer den über Krukowiccki's Verrätherei ein. Eine allge meine Entrüstung bemächtigt sich der Reichstagsver sammlung. Sogleich wird einhellig die Absetzung des Regierungspräsidenten beschlossen.