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344 reifsten Früchte hungern mußte, sollte Paul mit seinem Bater eine Reise nach der Schweiz und Italien machen, um nach dem Systeme des Herrn Lanier seine eigene Ausbildung zu vollenden. „Der Versuch wird mich etwas theuer zu stehn kommen," sagte der Rheder zu sich, indem er diese Bedingungen Unterzeichnete, „aber wenn mich diesmal nicht meine Erfahrung täuscht, so darf ich zwei gegen eins wetten, daß ich meinem Sohn die Entzauberung vergelte, mit der er mich überrascht hat. Diese Nermuthung konnte sich thcils auf die Un beständigkeit des menschlichen Herzens, thcils auf eine viel feinere Beobachtung gründen, die, wie man sehn wird, dem Scharfsinn des Rheders ungemeine Ehre machte. Paul hatte den Eigensinnigen gegen feine Cousine gespielt, so oft sein Vater ihn mit Gewalt von ihren ausgezeichneten Eigenschaften überzeugen wollte; am Tage der Zusammenkunft zum Beispiel, halte er die Auswahl in ihrer Toilette viel zu provinziell und über trieben gefunden; dann hatte ihm ihre Naivetät linkisch, ihr Benehmen ohne Einfachheit und Leichtigkeit, ihr Geist und ihre Sprache endlich zu anspruchsvoll ge schienen. Herr Lanier war gezwungen, diese Thaksa- chcn stillschweigend zuzugcben, und sah die Unfähigkeit der Madame Dartcnay, so wie des Aufenthalts in Havre ein, die Eigenschaften Cäciliens vollkommen zu entwickeln. Er schickte also auch Cäcilie mit ihrer Mutter nach Paris, wo er sie einer ihm bekannten Frau von Welt in die Hände gab, die sich anheischig machte, dieses köstliche Gold in den Schmelztigel der schönen Welt zu werfen, und so von allen Schocken zu reinigen. Nachdem alle diese Vorsichtsmaßregeln für die Zukunft genommen worden waren, setzte sich der Vater mit seinem Sohne in den Postwagen. Siebzehn Monate später sah man eines Abends einen Mann mit etwas grauen Haaren und einen jungen, sehr wohlaussehenden Kavalier, in einer ersten Loge der königlichen Musik-Akademie. Dieser Mann war Herr Martin-Lanier, dieser junge Kavalier sein Sohn. Beide waren denselben Tag von Marseille angekommcn, und dieses improvisirte Erscheinen in der Oper war ebenfalls ein kleines Complott des Rheders. Erschreckt, daß Paul, nach einer so langen Abwesenheit, bei der Heimkehr noch immer den Kopf voll von den Reizen der schönen Griechin hatte, wollte Herr Lanier ihn nicht zu plötzlich mit ihr zusammcnbringen, sondern erfand, nach seinem Geschmack für Ucbcrraschungcn dieser Art, jene unvcrmuthete Zusammemunst, von der Madame Dartcnay allein Mitwissende war. Eine halbe Stunde schon war der Vorhang aufge zogen worden und Paul beschäftigte sich noch immer mehr mit den Zuschauern, als den Spielenden. Da zeigte ihm sein Vater eine Loge, die der ihrigen gerade gegenüber war, und fragte ihm, sich vollkommen gleich gültig stellend, was er von den Personen, die darin waren, dächte Diese Personen waren zwei Damen, die den Hintergrund der Loge einnahmcn und die Paul nicht beachtete, und auf dem Vordergründe waren zwei junge, sehr geputzte Damen, die alle seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen. „Sieh da, eine kleine Brünette," sagte der junge Mann, die Erste flüchtig ansehend, „sic hat ein unre gelmäßiges, ziemlich coqucttirendcs und angenehmes Gesichtchen; aber leider stechen ihre Person und ihre Toilette grausam gegen einander ab. Mit einem Wort, cs ist nach meiner Meinung über Schönheiten das Schlimmste, was cs geben kann: eine Grisctte in der Verkleidung einer Frau von Welt!" „Ich bin Deiner Meinung," crwiedcrte der Rheder lächelnd. Und sein Auge blitzte unter der Brille von einer Freude, die er kaum verbergen konnte. . . „Nun," fragte er wieder, ,','und was denkst Du von der Andern?" „Teufel!" sagte Paul auffahrend, „ü.., de D Gutes von ihr, als ich sagen kann. Es ist ein Ge- 'misch aller jener nicht zu fassenden und namenlosen Reize, ^welche die eigentliche Pariserin bilden, nebst jener eben so seltenen Eigenschaft, die.man das: ich weiß nicht, was, genannt hat, und die an einer , hübschen Frau dasselbe ist, was der Duft an einer : Hose." .... „Da bin ich auch Deiner Meinung," sagte Herr Lanier, „und das heißt einmal als Kenner gespro chen." .... „Sehen Sic, mein Vater," fuhr der junge Mann fort, indem er immer auf denselben Punkt durch das Opernglas blickte; „der Eindruck, den die Schönheit dieser Frau auf mich macht, erinnert mich an jenen ersten Eindruck, den die Vollendung Selmü's auf mich machte." . . . „Unmöglich!" rief der Rheder, zwischen Staunen und Lachlust schwebend . . . „Du mußt diese Person