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317 - umher, während sein Gesicht von den glühenden Strah len der Sonne immer dunkler gebräunt und sein Schritt hinter der wankenden Heerde sichtbar matter wurde. Siehe, da erblickte er am vierten Tage die frischen Fuß tapfen eines wilden Thiercs; aber ob cs einer Löwin Klaue war, wer sollte dies verbürgen? ^ Ist nicht des springenden Panthers ünd des blut gierigen Tigers Fuß dem des Löwen ähnlich? Zwi schen Furcht und Hoffnung schritt er weiter, kein Strauch erquickte ihn durch Schatten und sein Scheitel war heiß wie der brennende Boden, auf dem sein mü der Fuß stand. Des Schakal's Geheul und der grin- zcnden Hyäne Töne vernahm er, aber des Löwen Ge brüll, schrecklich jedem andern Menschen, erfreute sein Ohr nicht. Bereits stand am fünften Tage die Sonne schon hoch am Horizonte, als er geschwächt erwachte. Mattigkeit hielt seine Glieder gefesselt, nur langsam richtete er seinen matten Körper auf und traurig schweifte sein Blick über die ihm noch gebliebenen zwölf Ziegen, da, wer schildert sein Entzücken! — schreitet majestä tisch eine Löwin, noch den Raub im Nachen tragend, nicht weit an ihm vorüber, kurz darauf war sie seinen Blicken entrückt. Neue Hoffnung erwachte in des Hir ten Brust und freudig gedachte er seines kranken Kö nigs. Darauf eilte er zu seiner kleinen Herde, warf ihnen ein wenig Futter vor, löste das schwächste ab und führte es dem Orte zu, wo die Löwin verschwun den, bestieg in der Nähe einen kleinen vom Winde aufgcwchten Sandhügel gund, welche Freude! erblickte von hieraus in einer Grube die Löwin, kosend mit ihren Jungen. Knicend betete er inbrünstig zu Ma- hvmed, band die Ziege, das erste Opfer, an seinen Lirtenstab und stieß die zitternde in die Grube hinab, eilte dann vorsichtig, doch schnell, zu den übrigen zu rück, unterhielt wie gewöhnlich während der Nacht ein Feuer und erwartete ruhig den andern Tag. Auf diese Weise fütterte er die Löwin noch drei Tage- am fünften wagte er sich weiter vor. Als ihn die Löwin erblickte, sah sie ihn scharf an, doch der Hirt verlor seiize Fassung nicht, sondern schleuderte ihr die Ziege entgegen. Den sechsten Tag that er wie am vorigen, gab der Löwin abermals eine Ziege, blieb aber siehcn, der Löwin Blick war milder, und das Gedächt- niß und die Großmuth der Königin der Thiere, so oft von den Menschen gerühmt, bewahrte sich auch hier, — leise wedelte sie mit dem Schweife, ähnlich der geschmeichelten Katze, und liebkoste ihre Jungen. Da faßte der Hirt endlich am siebenten Lage Much, nahm von seinen letzten vieren abermals eine Ziege, lud sie auf seine Schultern und trug sie in die Grube. Schnell sprang die Löwin auf, doch als ihr der Hirt die Ziege vor die Füße legte, erkannte sie ihren Er nährer, legte sich ruhig zu den Jungen und ließ sich geduldig — melken. In kurzer Zeit hatte der Hirt sein Becken gefüllt, sorgsam verschlossen und, als er cs über die Schulter gehangen, eilte er zu seinen noch lebenden drei Ziegeu und trieb sie fort, mit geflügelten Schritten der Kö nigsstadt zueilend. Zwei Nächte mußte er noch in der Wüste zubringen. Was konnte sich während dieser Zeit nicht ereignet haben, und was noch ereignen? Unter solchen Gedanken siel sein ermatteter Körper dem Schlaf in die Arme, sein Geist aber blieb wach, bis die Ideen sich allmählich zu folgendem Traume einten, in wel chem die Glieder folgenden Wettstreit hielten. „Warum," begann der Fuß, „sieht doch der Blick so oft mit Geringschätzung auf mich herab? Zwar kann die Kunst mich vom menschlichen Körper trennen und eine andere mich ersetzen, trage ich dann aber nicht den Körper vor wie nach an den Ort seiner Bestim mung? Würde mein Besitzer die Thal ohne mich voll bracht und das Leben eines Königs gerettet haben? Ich bin der vorzüglichste Theil am menschlichen Körper!" — Nach ihm zählten die Hände ihre Vörzüge auf. „Was," fuhren sie fort, „wollt Ihr Füße? Ihr seid uns untcrthan. Der Fuß ist ein entbehrliches Glied, selbst wenn künstliche Eure Stelle ersetzen und sich der Körper dann noch, wenn auch nur langsam, an ent fernte Orte tragen kann, was würdet Ihr ohne unS zu verrichten im Stande sein? Bon unserem Ruhme ertönt die Welt! Was man Großes denkt, die Hand kann es der Ewigkeit weihen, die Künste wären ein leerer Schall, hätten sie die Hände nicht in das Leben gerufen. Unser König würde sterben müssen, wären von unseren Händen nicht die Brüste der Löwin ge molken." — „Weicht mir, Ihr Beide!" sprach dann das Herz, „zwar habt Ihr Verdienste, mir aber sieht Ihr nach. Mein Gefühl trieb den Hirten zur That. Mir gebührt der Ruhm! Ihr seid mir untergeordnet!" Hierauf das Auge. „Das Lob für diese That kommt mir nur zu, hätte ich die Löwin nicht erblickt, müßte der König sterben und das Land trauern, mir ist der Preis." — So träumte unser Hirt. Noch müder, als er sich nicdcrgelegt, erwachte er, der Traum hatte ih« die