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I« einem jungen Edlen von ziemlich schlechtem Rufe, dessen Freund er war und der wenige Meilen von Avignon auf seinen Gütern lebte. Aber auf dem halben Wege dahin fühlte sich Vanina so unwohl, daß er anhalten mußte. Der kurz vorher sich aufheiternde Himmel ward wieder trübe und der Regen strömte von Neuem herab. Man konnte nicht zwei Schrille vor sich sehen, und Giovanni nicht wissend, was beginnen, fluchte auf italienisch und französisch. Glücklicherweise entdeckte er am Wege ein kleines Haus, welchem ein über der Thüre Hangender Fichtenzweig zum Schilde diente, und nach vieler Muhe gelang es ihm, die ärmliche Wohnung sich öffnen zu lassen. „Himmel!" rief die Wirthin, welche an der Traclrt der Fremden bemerkte, daß sic von vornehmen Stande waren, „welcher Tag der Segnung! Noch Reisende! Mein Haus ist voll; thut nichts, mein Herr! ich werde Ihnen mein eignes Bett geben, und die junge, schöne Dame soll sehr wohl darauf ruhen. Bedürfen Sie etwas? ein wenig Quittenwasscr? Das stärkt bei solch abscheulichem Wetter und wärmt den Körper." So sprechend betrachtete sie neugierig Frau von Doms, dereu Toilette genügend die eilige Flucht ver riet!). Sie trug weder Mantel noch Hut, und ihre langen, blonden Haare sielen aufgelöst und vom Regen feucht herab. — Sie war bleich, einer Ohnmacht nahe, und schleppte sich mit Mühe,, auf Giovanni gestützt, vorwärts. „Meine gute Frau," antwortete sie, „ich bedarf nichts, nichts als ein wenig Ruhe in einem Zimmer, wo ich allein bin. Führen Sie mich an den Ort, von dem Sie sprachen." Die Wirthin öffnete den Verschlag, worin sie schlief. Cs war ein Kammerchen, zu dem inan auf einer kleinen hölzernen Stiege gelangte. Es befand sich darin nur ein Bett, ein niedriger Schemel, und der Regen rann durch die Rahmen der Fenster. Die arme Vanina setzte sich ohne einen Blick auf die Umgebung zu werfen, aber Giovanni ward von der bcrvorblickendcn Armuth unangeuehm berührt, und er blieb vor Vanina mit einer unzufriedenen und schon auf Erkaltung deutenden Miene stehen. Sie weinte, »nd er tröstete sie nicht. „Vergebung, mein Giovanni!" rief sie ihre Thrä- nen trocknend, „ich weiß, daß ich jetzt nicht weinen sollte. — Wir werden uns nie mehr verlassen, mein Giovanni! nie mehr für dieses Leben! — Was küm mert mich auch die übrige Welt? Nein, ich bedauere Nichts von allem dem, was ich verlassen habe. — Du wirst mich weit von hier wegführcn, an einen Ort, wo ich niemals wieder von meiner Heimath, meiner Familie sprechen höre. — Von jetzt an bin ich todt für all' die Meinen. — Wohin führst Du mich, Giovanni?" „Wohin Du willst," antwortete er ruhig. „Nun, so laß uns tief in Italien in jenem Schlosse uns verbergen, von dem Du mir so oft gesprochen." „Das schwebt wie ein Adlernest am Gipfel des Felsens," sagte Giovanni. „Was thut cs? Wir werden uns überall wohl befinden, wo wir vcreinr sind." Sic sprach noch ^ange in höchster Aufregung zu ihm von ihren Plänen; er hörte zerstreut, und be trachtete schweigend die Anmuth, welche selbst ihre leiden schaftliche Aufregung verschönte. „Du bist schön und ich liebe Dich," unterbrach er sie hastig- „Das Andere, Vanina, will ich Dir morgen sagen." Am nächsten Morgen lag Vanina in einem ängst lichen und doch tiefen Schlummer; Giovanni verließ sic, um außerhalb des Gemachs, dessen Leere ihm widerwärtig war, frische Luft zu schöpfen. Er ging in das mit Hagedorn umzaunte Gärtchen hinab, das hinter dem Hause lag. Die Sonne war im Ausgehen, ihre ersten Strahlen beschienen das schwere, regenfeuchte Laub. Die Blumen schüttelten ihre von Dust und Thau schweren Kelche; Alles athmete uocb die Stille der Nacht und der Gesang der Sch nicht die öden Felder. Dennoch war in dem Garten zuvorgekommen; ein junges eueaocyen saß auf einer Steinbank, die sich längs des Hauses hinzog. Bei ihrem Anblicke ward Giovanni vom leb haftesten Gefüblc der Bewunderung ergriffen, das er je in seinem L>ben empfunden hatte. Sie war groß und ihre noch etwas schlanken Formen verkündeten hohe Jugend; doch die Schönheit ihres Gesichts war schon vollendet.' Ihre regelmäßigen Züge trugen jenen Aus« druck des Stolzes und der Ruhe, wie er auf der Stirn der Madonna thront. Glänzend schwarzes Haar um floß ihre Schultern; die fast horizontale Linie ihrer Augcnbrauncn bildete zwei feine Kanten, unter deren unmerkücher Krümmung die heitersten Augen wie die eines Engels hcrvorblitzten. Um die ganze herrliche Gestalt war gleichsam eine Glorie der Reinheit und Unschuld verbreitet. Giovanni näherte sich geräuschlos, das junge Mäd chen sah ihn nicht, sie ordnete ein großes Bouquet