Volltext Seite (XML)
246 ohne den WIrth und lief ihm entgegen, während sie ihm auszuweichcn glaubte. Das erste in der That, was sie in jenem Salon bemerkte, in welchen sie sich vor Lord Sandpatcr flüchtete, war Lord Sandpatcr selbst, ganz ruhig in einem Lehnstuhl sitzend. Als man ihm sagte, Carlotta wäre ausgcgangcn, hatte er geant wortet, er werde ihre Rückkehr erwarten, und die Kammerfrau führte ihn in jenem Salon, da sie nicht erwarten konnte, daß ihre Herrin ihn daselbst aufsu- chcn würde. Der Schrei des Erstaunens, welchen diese ausstieß, benachrichtigte Sir Francis von ihrem Mißgeschick; er ward, wie man sich leicht denken kann, wüthcnd, und wünschte alle Lords der drei Königreiche zum Teufel; nacbdem er endlich eine halbe Stunde lang umsonst auf das Ende der geheimen Unterredung wartete, die sich aus seine Unkosten verlängerte, und endlich die Mystifikation zu stark fand, übrigens neu gierig war, seinen Nebenbuhler von Angesicht zu sehen, so entschloß er sich, zu intcrveniren, und erschien plötz lich im Salon, ein Besucher ohne alle (Zeremonie. Ein würdiges Original der von der Tänzerin entwor fenen Skizze, saß Lord Sandpater, ohne sich wegen der Ankunft eines Dritten zu rühren, und erst nach einer vollen, langen Stunde einsylbiger Unterhaltung, ließ er Wenslcy die Ueberzeugung zurück, daß die Be sorgnisse der Tänzerin leider ganz begründet waren. „Uhl" sagte der junge Mann, und machte sich auf seinem Sessel breit, als die große Personnage den Rücken gekehrt hatte . . . „Sei ruhig, Carlotta," fügte er feierlich hinzu, „Du sollst von diesem Verste inc- rcr befreit werden, oder ich werde selbst in Stein ver wandelt." Aber Sir Francis wußte nicht, was er unternahm und kannte die unerschütterliche Hartnäckigkeit seines Gegners nicht. Gestützt auf die Redlichkeit seiner Ab sichten, wich der Lord nicht einen Fußbreit, und Alles, was man thun konnte, ihn zu entfernen, scheiterte wie an einem Felsen. Umsonst stellte sich ihm Wens- ley in der Stadt und im Theater in die Quecre, um sonst ließ er ihn in den Vorzimmern und hinter den Coulissen auf hunderterlei Arten mystisiziren, umsonst reizte er ihn gegen sich, indem er ihn aufsvrderte, sei nen Heirathsprojecten zu entsagen und ihn offen zum Duell herausforderte . . . nichts konnte den uncrschrok- kcnen und erlauchten Bewerber um die Hand Ear- lotta's enlmulhigcn, oder dieser eine Viertelstunde täg licher Langeweile ersparen. Da suchte an einem schö nen Fcbruarabend, in der Mitte eines Vnout im Jockey-Clubb Sir Francis mit seinen Freunden durch den flammenden, amerikanischen Punsch seinen Witz zu beleben, und siel durch die Eingebung des ange brannten Rum auf ein außerordentliches Mittel, das man gleich kennen lernen wird, und welches er gleich den folgenden Tag in Ausführung brachte. Da er den Ehrentitel eines Doctors der Mcdicin besaß, so kannte er als solcher die besten, praktischen Acrzte in London. Er berief durch Briefe die vier vor züglichsten , darunter den Leibarzt der Königin, um ihn zu einer Berathung über einen wichtigen und dringen den Fall zu bringen. Die vier Doctorcn stellten sich pünktlich zum Rendezvous ein, und Wenslcy empfing sie mit einem Ernst, der dem ihrigen entsprach. Eine Tafel war in der Mitte des Saals aufgestellt, darauf alles nöthigc Schreibzeug, und cs fehlte zur (Zeremonie nur noch der Kranke, dessen Gegenwart auch die Doctorcn anfangs verlangten. „Mein Kranker ist nicht hier, meine Herren," beeilte sich Sir Francis zu erwiedern. „Ich dachte, es wäre unnütz, ihn zu sehen, da die Frage, die ich Ihnen vorzulcgcn habe, ganz allgemein ist; dies sind die drei Punkte dieser Frage, meine Herren, auf welche ich Sie zu antworten ersuche: Erstens, ist der Spleen eine wirkliche Krankheit? Zweitens, kann man am Spleen sterben? Drittens, ist er ansteckend? Die vier Doctorcn setzten sich um den Tisch, um zu berathen, während Wcnsley sich die Mühe nahm, der Berathung mit der Feder in der Hand zu folgen. Nach einer lebhaften Erörterung, die zwei Stunden dauerte, anwortete die Majorität auf alle drei Punkte mit Ja, nicht ohne diese Behauptung mir zahlreichen Beweisen zu unterstützen. Die Frage der Ansteckung besonders, die dem edlen Baron sehr am Herzen zu liegen schien, wurde so bestimmt beantwortet, daß kein Zweifel übrig bleiben konnte. Nachdem die Berathung ausgeschrieben und nach Gebühr übcrlesen worden war, Unterzeichneten sie die vier Doctorcn, und ihr Mitbru der sandte sie fröhlich heim, wo Jeder auf seinem Schreibtisch fünfzig Pfund Sterling fand. Ungefähr zwei Stunden nach dieser Scene, die Moliere vor anderthalb Jahrhunderten gewiß benutzt hätte, in dem Augenblick, wo Lord Sandpater am Hütcl Carlotta's die Klingel zog, Mt ein Gerichts- bcamter in feierlicher Haltung vor und untersagte ihm den Eintritt. Der unerschütterliche Lord hielt es für einen Mißgriff und wollte nach seiner Gewohnheit wei ter schreiten, als der Beamte ihm seinen Befehl wie-