Volltext Seite (XML)
150 Dcn folgenden Tag folgte er dem Hofe nach Aran- jnez, wo sein Dienst ihn hinricf, und cs vergingen mehre Wochen, che er wieder nach Madrid zurückkehrte. Der Offizier nannte sich Don Manuel de Villa Viciosa; er war ein schöner Cavalicr, erfüllt mit Gesinnungen der Ehre, Tapferkeit und Großmuth. Ein Majorat mit zehntausend Thalcrn Einkünften, das er erst neuerlich geerbt hatte, trug nicht wenig dazu bei, seine Verdienste zu erhöhen, und man war überzeugt, daß er eine Frau glücklich machen werde. Es fanden, in dieser Beziehung, wahrend seiner Reise nach Aranjuez, vielfache Unterhandlungen Statt, und als Don Manuel nach Madrid zurückkehrte, war er so ziemlich gebunden. Der Graf von Montepino gab ihm seine ein zige Tochter, mit der alleinigen Bedingung, daß er Namen und Wappen seiner Familie annchmcn sollte. Donna Louisa war eine sehr gute Partie. Durch ihre Mutter Erbin eines bedeutenden Majo rats, brachte sic ihrem Gemahl mit dem Titel eines Grafen hunderttausend Realen Einkünfte. Sie ward in dem Kloster der Bcnedictincrinncn zu Madrid erzo gen und sollte dasselbe nicht verlassen, als an dem Tage ihrer Vcrheirathung, denn ihr Vater rcsidirte an einem fremden Hofe, wo er Se. katholische Majestät repräscntirtc, und ihre Mutter war schon lange todt. Als sie Aranjuez verließen, kamen Don Manuel und der Graf von Montcpino überein, daß ihr Besuch in dem Kloster der Bcnedictincrinncn dcn folgenden Tag slattsindcn sollte. Denselben Abend ging Don Manuel allein auf dem Prado, und wie vor einem Monat war die Pro menade belebt und glanzend; der Mond färbte das un bewegliche Laubwerk mit seinen Strahlen weiß; kein Lüftchen rührte sich, kein Wölkchen stand am Himmel und unter den Bäumen mischte sich das Gemurmel der Springbrunnen mit volltönenden Stimmen und dcn Accordcn der Guitarren; man sah verschleierte Frauen, Männer, verborgen unter ihren breiten hcrab- gcschlagenen Hüten; Alles mit Anstrich des Galanten, Mysteriösen, Spanischen. Don Manuel trieb sich unter der Menge ohne Zweck herum. Eine Art von Unruhe und schmerzlicher Ungeduld ergriff ihn, wenn er des morgenden Besu ches dachte. Seine Einbildungskraft gefiel sich, der ihm be stimmten Donna Louisa Gestalt und Form zu geben; er stellte sie sich schön, anmuthig, ganz reizend vor, und eS ergriff ihn schon die Leidenschaft für dieses Bild der Phantasie, ohne daran zu danken, daß er morgen wohl das Original nicht finden möchte. Mitten unter diesen Träumen und vorgefaßten Meinungen, die unbeschäftigten und leidenschaftlichen Charakteren so natürlich sind, erinnerte sich Don Ma nuel auf einmal des Auftritts in dem Kaffcchause und der durch ihn unter dcn Gängen des Prado verwun deten Bettlerin; er versicherte sich, daß seine Börse nicht leer war und trat bei Pedro Badillo ein. Don Antonio Colosia y Campillo war in dem Saale; der Majo stand in einem Winkel und klim perte nachläßig auf der Guitarre. Don Manuel ging ernsthaft vorüber, legte die Hand an den Hut und es schien, als erkenne er Nie mand; er trat in das zweite Zimmer. „Ew. Herrlichkeit sei willkommen," sagte dcr Wirth; „ich war schon ungeduldig, Ibncn Rechnung abzulc- gcn über Ihr gutes Werk. Die Bettlerin ist ziemlich geheilt. Bei meiner Seele, ich habe es ihr an nichts fehlen lassen, denn Ew. Herrlichkeit hatten reichlich ge sorgt." „Es ist gut, cs ist gut," sagte Don Manuel; „ich will das Kind sehen." „Im Augenblick," crwicdcrre der Wirth, indem er eine Fackel nahm; ich will ihr sagen, daß sic herunter kommt." „Nein, ich will selbst hinaufgehen." Sic stiegen fünf Treppen. Am Ende eines Gan ges, der mit alten Meublcs verseht war und der allen Katzen der Nachbarschaft als Idendes-vo».-; diente, be fand sich eine Kammer, die kaum verschlossen war. TabakS-Paguctc, die an dcn Balken aufgchangcn wa ren, verbreiteten einen scharfen, durchdringenden Ge ruch, der den Kopf cinnahm. Hinter der Thüre war ein ziemlich sauberes Bett, weiterhin ein Armstuhl mit rolhcm Leder, der wenigstens an die Regierung der letzten Prinzen des Hauses Oestreichs erinnerte, und neben demselben ein lahmer Tisch. Die Bettlerin saß auf dem Rande des Beltes; sie stand schnell auf, als sie Don Manuel und hinter ihm Pedro Badillo cintrcten sah, und grüßte ihn mit jener demüthigcn, kläglichen Miene, mit der sie um Almosen bat. „Setze Dich, Kind," sagte der Offizier.