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627 wird uns wohl, wenn er zurückkommt, von der Posse etwas Näheres sagen können. Den hat die Neugier in den Saal getrieben." In diesem Ton sprach er noch eine geraume Zeit fort, von einem Gegenstände zum andern überspringend, oder, wie man zu sagen pflegt, von dem Hundertsten auf's Tausendste kommend, und schloß seine Rede mit folgenden Worten: „Genau genommen, sind wir eigentlich allesammt, nämlich wir Menschenkinder, sehr lächerliche Figuren, und wenn sich der Eine über den Andern lustig macht, so ist dieß um so lustiger, da jener selbst nicht merkt, daß auch er in der bunten Harlekinsjacke steckt. Die allerehrwürdigsten Personen können sich nicht frei halten von gewissen komischen Gewohnheiten des Körpers und der Seele. An Plato's weiser Nasenspitze hing stets, wie uns sein großer Schüler erzählt, ein Tropfen Ueberflüssigkeit, woher man vermuthet hat, daß die Alten auch schon ge schnupft haben. Alexander der Große hatte die Ange wohnheit, mit dem Kopf nach der linken Seite Hinzu winken, worüber seine Generäle gewiß mitunter im Stillen gelacht haben mögen, denn das laute Lachen würde ihnen wahrscheinlich sehr übel bekommen sein. Der große Kaiser Karl bildete sich ein, viel Talent zum Schönschreiben zu haben und nahm auf seine alten Tage noch Unterricht m der Roßberg'schen Me thode, welche vermuthlich schon damals unter den Sachsen gäng' und gäbe war. Der alte Fritz nahm sich einmal vor, sich das Schlafen abzugewöhncn, was doch offenbar gegen die allereinfachsten Begriffe der Natur ist. Goethe hielt einen gewissen Tag in der Woche für einen elies lalalis und vermied an demsel ben jede bedeutendere Thätigkeit, durch welche Grille wir vielleicht um viele große Werke gekommen sind, und der Dichter Raupach in Berlin hält die meisten Tage in der Woche für clivs fatales und schreibt des wegen an ihnen blos Trauerspiele. Sind die größten Männer der Weltgeschichte solche närrische Kauze, warum sollen wir nicht dasselbe Recht haben, als sie? Ich meinerseits habe nichts dawiedcr, wenn man mich auf eine anständige Weise unter die Schccre nimmt; ich lache mit — das ist in jedem Falle das Beste, was man thun kann — und vergelte Gleiches mit Gleichem, aber 8>»o stuilio et ira. Es wäre doch thöricht, wenn man sich über dergleichen Bagatellen ärgern wollte, das Leben erläßt uns dieAergernisse ohnehin nicht. Lachen und lachen lassen, das ist mein Motto. Das Ihrige nicht auch, werthgeschätzter Herr Registrator?" Dieser nickte mit dem Kopfe und brach in ein lautes Gelächter aus, dessen eigentlicher Ursprung sich nicht genau bestimmen ließ; doch schien es seinen ge sunkenen Muth wieder zu beleben. Er befand sich jetzt auf der Stufe der Resignation; er war ent schlossen, wie ein Held, alle etwaigen Erlebnisse dieses Abends r^hig abzuwarten. Demungeachtet konnte er sich nicht enthalten, von Zeit zu Zeit nach der Uhr zu sehen, einem alten Erbstücke mit dreifachem Gehäus, dessen Gewicht der anspruchlosen Leichtigkeit des Be sitzers bei starkem Winde gute Dienste leistete. „Es ist wohl schon spät?" flüsterte die Frau Re gistratorin und hing ihren Strickbeutel an die Hand. Der zärtliche Vater lhat einen Seitenblick auf die schnarchenden Knaben und zuckte mit den Achseln, als wolle er sagen: „Wie sollen wir die Kinder fort bringen? Wir müssen warten, bis sie erwachen, sie schlafen wie die Murmelthiere, und wenn wir sie auf stören, werden sie einen Heidenscandal anfangen." Käthchen, Heinrich und ich — wir hatten uns in ein trauliches Gespräch eingelassen, bei welchem jedoch jenes ihre Zerstreuung nicht verbergen konnte. Die Holde, an die Einsamkeit Gewöhnte, mochte sich nach der Heimkehr und ihrem stillen Stübchen sehnen. Als ich diese Vermuthung gegen sie eben aussprechen wollte, trat ein Knabe, ein wahrer Gnome an Ge stalt, mit krummen Beinen und einem unverhältniß- mäßig großen Kopf zu mir und bot mir Blumen zum Verkauf an. Ich nahm sein Körbchen und bat meine Nachbarin, sich von den hübschen Sträußchen zu wählen. „Ah, die frischen, schönen Rosen und die duftige Reseda," sprach sic erfreut und faßte eins von den Sträußchen an; da blieb an demselben ein anderes, ganz gleiches, hängen, was sie lächelnd ab- schüttclte; aber ich sing cs mit der Hand auf und sagte: „Ei, das doppelte Sträußchen kann uns ja zu einem Vielliebchen dienen; meinen Sie nicht, Fräulein Katharina?" „Nun, gut!" entgegnete sie. „Wie machen wir die Wette?" „Wer zuerst aus der Hand des Andern irgend et was, das ihm dargeboten wird, annimmt, soll ver loren haben?" „Recht, und nun hüten Sie sich; ich lasse mich nicht so leicht fangen!" „Desto leichter bist Du zu fangen," sprach hinter mir Richard, der vor wenigen Minuten aus dem Nebenzimmer zurückgckchrt war.