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des Grafen Stanislaus. Ueberall Heiterkeit und Frohsinn, Scherz und Laune; nur hinter den Sälen des Morgenlandes hatte eine finstere Leidenschaft ihren Sitz ausgcschlagen. Hier, ganz versteckt der übrigen Ballwelt und nur den Eingeweihten bekannt, hielt der italienische Graf Fiorello Pharaobank. Tausende wurden hier gewonnen und verloren. Bank und Poin teurs gingen mit dem Golde um, als seien es eben Zahlpfcnnige und wenn dieser oder jener der Spieler einige hundert Louisdore verloren hatte, kehrte er, als ob nichts geschehen sei, nach den Ballsälen zurück; denn fast sämmtliche Gäste gehörten der reichen Klasse an, wo ein für jeden Andern höchst bedeutender Ver lust weiter nicht empfunden ward. Die Winternacht ward immer grausiger, die Kälte erreichte eine furchtbare Höhe, die Sterne funkelten doppelt so hell als gewöhnlich durch die eisige Atmo sphäre. Das gaffende Volk vor dem Palaste hatte sich verlaufen und die Wachen waren cingezogen worden. Dem Hotel des Grafen Stanislaus schräg gegen über*) stand ein halbverfallenes hüttenartigcs Häuschen, wo die bitterste Armuth wohnte neben Schmerzen- und Herzeleid. Unheimlich pfiff der Nordwind durch die übelverwahrten Fenster und das schwache, dem Er löschen nahe Licht einer Lampe beleuchtete ein Bild des höchsten Jammers. Auf ärmlichem Strohlager lag die todtkranke Mutter und daneben knieten zwei blasse Engel, die eilfjährige Marie und das siebenjährige Klärchen. In dumpfem Schmerze saß in einer Ecke der vierzehnjährige Theodor. Das schwache Feuer in dem Windöfchen war längst ausgegangen, die letzte Kohle längst verglommen; immer grimmiger drang die harte Kälte der Winternacht durch die luftigen Fenster. Den ganzen Tag war kein Bissen trockenes Brot in's Haus gekommen; vergebens waren Marie und Theo dor schlotternd durch die Straßen und bewohnten Zir kel der Stadt geschlichen; keine mildthätige Hand hatte sich geöffnet, den Armen eine Gabe zu reichen. Von Kälte erstarrt, von Hunger gepeinigt waren die vater losen Waisen mit gefrorenen Thränen zur geliebten Mutter zurückgekchrt; aber sie lächelten mit blutendem Herzen, sagten nichts von ihrem Hunger, um der Todtkranken ihre Leiden nicht zu vergrößern. Von den Thürmen tönte die eilfte Stunde durch die Nacht. Wie ein paar rosenrothe Augenblicke waren *) In einigen nordischen Hauptstädten findet man nicht selten unmittelbar neben den prachtvollsten Palästen die ärm lichsten Hütten. dem Ballpublikum die Stunden der Vormitternacht verflossen, während wenige Schritte davon im ärmlichen Stübchen die Minuten zu qualvollen Stunden wurden. Noch immer beteten die beiden Mädchen bei der kranken Mutter, noch immer saß Theodor froster starrt in der Ecke. Da schlug plötzlich das militärische Kommandowort, welches die Wachen bei dem gegenüber liegenden Palast einberief, an sein Ohr. Ein letzter Hoffnungsstrahl durchzuckte die Brust des armen Knaben. „Vielleicht," dachte er bei sich, „daß es jetzt möglich ist, Eintritt in das H»tel zu erhalten und irgend einen der goldbetressten Diener um ein Stück Brot zu bitten." Leise, damit er Mutter und Schwester nicht störe, verließ Theodor die Stube und das Haus. Seine Hoffnung hatte ihn nicht betrogen. Die Wachen waren eingezogen und das stattlich beleuchtete Portal stand offen. Die furchtbare Noth besiegte dicßmal die son stige Schüchternheit des Knaben. Er betrat zitternd die festlichen Hallen und gelangte, ohne daß er aufge halten worden war, bis in eine der Gallerien des ersten Stocks. Hier stand ein reichgekleideter Herr, welcher seinem Kammerdiener eine Menge Goldrollen übergab, die er so eben im Spiel gewonnen hatte. Der Herr sah so gutmüthig und menschenfreundlich aus. Theodor faßte sich ein Herz; sank vor ihm auf die Knie und flehte um ein Stück Brot. Der glückliche Spieler warf einen mitleidigen Blick auf die armselige Gestalt des Knaben. „Armer Teufel," sprach er, „Brot Hab' ich nicht, aber da, kauf Dir welches." Mit diesen Worten warf er dem Bittenden mehre Goldstücke in die erstarrten Hände und eilte davon, um das ihm zulächelnde Glück von Neuem zu versuchen. Thränen stürzten dem glücklichen Knaben aus den Augen, so reich, so unermeßlich reich war er im Leben nicht gewesen. Er sprang auf, um die Worte seines Wohlthäters in Ausführung zu bringen und Brot und Holz zu kaufen. Bald hatte er den Palast im Rücken und eilte die kalte öde Straße dahin. Der Gedanke, seine Lieben bald speisen und erwärmen zu können, stärkte seine todtmatten Glieder. Er langte außer Athem bei dem kleinen Kramladen an, wo seine Familie ihre ge ringen Lebensbedürfnisse mit wenigen Kreuzern zu kaufen pflegte — aber ach, welcher Schreck, Alles war ver schlossen. Vergebens klopfte und rüttelte seine schwache Hand eine lange Zeit an dem Laden. Es war bereits zu spät — Niemand öffnete. Eisig wehte die Nachtluft ' daher. Die Mitternachtstunde hallte von den Thürmen: