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615 rahmten dazu mit den Händen ihre runden Gesichter ein, welchen die Schlaf- und sonstige Trunkenheit einen seltsamen Anstrich von Einfältigkeit und Naive- lär gab. Eduard lehnte sich an die Schulter Ern st's, welcher, von der brüderlichen Last zur Seite gedrängt, plötzlich eine weite Strecke fortrutschte und mit einer Flasche voll Rothwein in nähere Berührung kam. Käthchen sprang schnell hinzu, aber — da war's geschehen! Die beiden Knäblein sielen oder glitten vielmehr sanft vom Stuhl herunter auf den Fußboden, und die Flasche ergoß ihren rochen Inhalt über sie, von dem auch die holde Schwester nicht ganz ver schont blieb. Es war, als ob das Schicksal es auf ihr veilchenblaues Sonntagskleid abgesehen habe und sich dazu der ungezogenen Bengel als Werkzeuge be diene. Ich bückte mich, um ihr den benetzten Saum des Kleides abzulrockncn, und blieb vor ihr länger auf einer Knie liegen, als cs meine Hilfsleistung erheischte. Lächelnd neigte sie sich zu mir herab und bat mich _auf;ustehen. Meine ritterliche Entgegnung verhallte in dem nach einigem Stillschweigen, das der Schreck ver ursacht hatte, plötzlich losbrcchendcn Geschrei der ge badeten Jungen. Der kleinste, welcher auf seinem Sitze geblieben, leistete ihnen Gesellschaft, so daß die Heulerei um ein Beträchtliches kreischender und herz zerreißender ward. „Herr des Himmels und der Erde," stammelte >er Registrator auffahrend die Hände zusammenschla- ,end, wobei er sein Glas umwarf, in welchem glück- ichcrweisc nur eine kleine Neige befindlich war. Richard ireute eine Prise Salz über den Fleck, gleichsam als solle er die verunreinigte Stelle wieder weihen, indem r mit Pathos rief: „Weiche von uns, Satan!" — „Satan!" wiederholte Herr Schubert erschöpft, auf seinen Sitz zurückfallend, bleich wie das Tafeltuch. Bruder Heinrich war einige Schritt von der Gruppe zurückgetretcn und betrachtete sie mit bitterem Lächeln. Die Frau Registratorin schalt und beschwur die Kinder, welche sich wie nasse Pudel schüttelten; Milter lachte laut, setzte die Flasche wieder auf, und stimmte die Arie aus der Zauberflöte an: „In diesen heil'gen Hallen Kennt man die Rache nicht!" AlS die Knaben, wie er sich ausdrückte, in in- restitlürt, d. h. als ihnen die flüssige Schminke Zangen abgewischt worden war, endigten sie "chmerzensgesang, getrauten sich jedoch Schlupfwinkel unter dem Tische hervor, in den sie sich aus Furcht und Scham zurückzogen. „Legt euch dort auf's Sopha, ihr lieben Kinder!" rief der Advokat. „Die armen Dinger," fuhr er fort, sich die gelachten Thränen aus den Augen wischend, „sie sind schläfrig! Eine Viertelstunde Ruhe, und ich wette, sie sind wieder so aufgeräumt, als vorher." „Böser Herr Advokat!" drohte Madame Schu bert, „Sie habenden Kngben zu fleißig cingeschenkt." „Keine Vorwürfe," antwortete jener bittend. „Las sen wir uns nicht stören, es ist ja kein Unglück ge schehen. Pfui, überall leere Gläser! Schnell gefüllt, angestoßen!" „Wart' nur einen Augenblick!" cntgegnete Milter, der den Kindern die Sophakisien zurcchtlegte. Nach wenigen Minuten umsing das Kleeblatt ein süßer Schlummer; die Gesellschaft rückte enger und traulicher aneinander, die unterbrochene Fröhlichkeit kehrte nach und nach zurück, selbst Käthchen ward heiterer, da sie ihren Vater gänzlich beruhigt sah. „Heinrich," sprach er, „Du könntest einen Trink spruch ausbringen. — Ja, ja, meine Herren," fügte er, zu uns gewendet, hinzu, „mein Sohn hat in die sem Punkt etwas los. Er kann in Reimen —" „Lieber Vater!" bat der Sohn etwas verlegen. Aber Milter siel ihm schnell in's Wort: „Nein, nein, keine Entschuldigung wird angenommen, wir machen Verse in der Runde und Sie beginnen." „Verse in der Runde? Und ich?" rief der Re gistrator, beide Hände auf der Brust zusammcnfaltend. „Das können Sie nicht verlangen! Alles in der Welt, nur Verse nicht!" „Und die Damen müssen doch auch ausgenommen werden," ergänzte Madam Schubert. „Nicht wahr, Käthchen?" „Die Herren werden unsere Stelle vertreten," er- wiedcrte diese. „Gut, angenommen!" entschlüpfte mir. Heinrich erhob sich jetzt, an sein Glas mit dem Messer klopfend: „Hört, hört!" „Trüb genug," sprach er leise, fast zaghaft: „Trüb genug ist oft das Leben, Spärlich tönt der Freude Ruf, Laßt darum uns Ihn erheben, Der dieß frohe Stündchen schuf!" „Bravo! Bravo!" erklang es; der Registrator zuckte mit Auge und Lippen vor innerer Rührung. Milter, dem der Toast gegolten, stand nun auf —