Volltext Seite (XML)
612 haben werde, soll es mein Erstes sein, Sie, mein Herr, um Ihre Adresse zu ersuchen." Als er dieß gesagt, bat er die zitternde Vera, ihren Platz auf dem kleinen Kiffen wieder einzunehmen, er selbst aber übernahm wieder die Nolle des Lenkers mit der größten Ruhe. Die Kaltblütigkeit und das würdevolle Benehmen des jungen Franzosen bewirkten, daß Vladimir in sich ging; er fühlte, wie sehr er sich gegen die Gesetze des Wohlstandes, und vorzüglich der Gastfreundschaft, vergangen hatte. Allein es war zu spät; Entschul digungen hatten vielleicht als Mangel an Mulh aus- gelegt werden können. Er antwortete ihm, daß er jederzeit ihm zu Diensten stehe. Die arme Vera war über den Vorfall außer sich. Sic war die Veranlassung zu einem Duell und konnte sich vielleicht den Tod eines Mannes vorwerfen müssen, der ihr, seitdem sie Wittwe war, häufige Beweise seiner Zuneigung gegeben hatte. Auf der andern Seite dachte sie nicht ohne Entsetzen daran, daß vielleicht der edle junge Mann, dessen Namen sie noch nicht einmal kannte, der aber sich so fein zu benehmen wußte und dessen Blick so süß und durchdringend war, in einer Angelegenheit, deren Veranlassung ihm fremd gewesen, sein Leben verlieren könne. Sie rief sich seine ruhige und edle Haltung während der Eifersuchtsscene mit dem Fürsten Minsky, sowie die wülhenden Blicke und unüberlegten Gebcrdcn des Lctztern in's Gedächlniß zurück; dieser Vergleich siel ganz zu Gunsten des jungen Franzosen aus, und vielleicht hätlc sie die geheimen Wünsche ihres Herzens nicht auszusprechen gewagt. Ganz in Thränen schwimmend warf sie sich in ihren Schlitten. Nachdem der Fürst Vladimir noch einige Worte mit dem Fremden gewechselt und von ihm eine Karte mit den Worten: Vicomte Ernst von Ricussec, im Hotel Demutz, erhalten hatte, stieg er hinten auf den Schlitten der Gräfin. Allein die Unterhaltung war gezwungen; ein schneidender Wind, der sich zu erheben begann, diente der jungen Frau als Vorwand, um sich in ihren Pelz einzuhüllen und nur einsylbig auf die Gemeinplätze des Fürsten zu antworten. Die Pferde schienen die Wünsche ihrer Gebieterin zu ahnen, sie berührten kaum den dichten Schnee, der den Boden bedeckte, und nach Verlauf weniger Minuten befand sich Vera vor der Thür ihres artigen Hotels. Sie nöthigte den Fürst nicht, mit hincinzugehen. Dieser hatte bereits seine ganze üble Laune wieder; er ging also nach Hause, wechselte die Kleider, versah sich mit Pistolen und verfügte sich nach dem Hotel Demutz. „Ich erwartete Sie, mein Herr," sagte der Vi comte zu ihm, indem er ihm einige Schritte entgegen kam. „Wir haben noch Nichts über den Ort be stimmt, wo wir unfern Streit ausmachcn wollen, allein wir sind, denke ich, diesen Morgen lange genug der Kälte ausgesctzt gewesen, und wenn sie Nichts dagegen cinzuwcndcn haben, wollen wir sogleich an's Werk gehen." Der Fürst verbeugte sich zum Zeichen seiner Zu stimmung, und die beiden Gegner stellten sich zehn Schritte von einander. Herr von Ricussec hatte den ersten Schuß. Zu stolz, um diesen Vorlhcil zu benutzen, wollte er eben, auf's Gerathewohl und ohne zu zielen, schießen, als ein Geräusch entstand und die Thür sich öffnete. Vera stürzte hastig herein, warf sich zwischen die Streitenden und sagte zu ihnen: „Man hat mich hereingehcn gesehen, mein Ruf ist dahin. Es giebt bloß eine Entschädigung für mich, und diese besteht in der Ueberzcugung, Einem von Ihnen das Leben gerettet zu haben. Ich werde meinen Fehler sühnen, indem ich meine ganze Zukunft opfere; morgen gehe ich nach Froitsk in's Kloster, dort will ich den Rest meines Lebens hinbringen. Versprechen Sie mir dagegen, sich nicht mehr zu schlagen." Vladimir und Ernst wurden durch eine so edle Hingebung gerührt und entsagten auf der Stelle jedem Groll. Zum Zeichen der Versöhnung reichten sie sich die Hand und begleiteten dann die Gräfin an ihren Wagen zurück. Der Vicomte machte ihr noch denselben Abend einen Besuch und brachte es so weit, daß sie ihren Kloster-Ideen entsagte, indem er sie versicherte, daß er ihr ein weit besseres Mittel bieten könne, ihren Ruf wieder herzustellcn. Vier Wochen nach diesem so un ruhigen Tage bewunderten die Spaziergänger die lange Reihe von schönen Equipagen, die sich längs der Per spective von Ncfsks, von der Brücke von Polia bis zu der von Anitchkoff erstreckte. Man feierte in der katholischen Kirche die Vermählung der schönen Gräfin Laban off mit dem Vicomte von Ricussec. Tags darauf befanden sich die jungen Ehegatten auf der Reise nach Frankreich. Das in Ländereien be stehende Vermögen der Gräfin war zu Gelde gemacht, und die dreitausend Seelen, die sie besaß, in eine Rente von achtzigtausend Livres verwandelt worden. Herr und Frau von Ricussec ließen sich in Paris