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Der hohe Wuchs des jungen Mannes, sein mit Astra chan besetzter Spencer, und vorzüglich die Sicherheit, mit welcher er ihr das Anerbieten, sie den Btrg hinab zu fahren, gemacht hatte — eine Sicherheit, die bei einem so feingebildeten Manne nur aus einer öfter stattgcfundenen Wiederholung dieses ganz eigenthümlichen Vergnügens entspringen konnte — dieß Alles zusam mengenommen hatte die Gräfin Laban off auf den Gedanken gebracht, sie spreche mit einem Landsmann. Als sie jedoch für eine Idee, die sie französisch nicht wiedcrzugcbcn verstand, einen russischen Ausdruck ge^ brauchte und um die Erklärung desselben gebeten wurde, da sah sie ein» daß sie sich getäuscht hatte. Es war also ein Franzose; denn nur ein Russe oder ein Fran zose war im Stande, die Sprache der Höfe und der Salons mit so viel Eleganz und Leichtigkeit zu sprechen. Diese Entdeckung erzeugte in Vera's Seele einige Zweifel hinsichtlich seines Talents, den kleinen Schlit ten auf dem eisigen Abhange zu leiten, und sie ent schloß sich, ihn höflich darauf aufmerksam zu machen. Der junge Fremde gab sich alle Mühe, sie darüber zu beruhigen. Die Gräfin erhebt sich und setzt sich auf das kleine Kissen; mit einem gewissen Gefühle von Befriedigung, worüber sie sich selbst keine Rechenschaft giebt, bemerkt sie, daß dieses Kissen ein ganz einfaches sammetnes ist, und daß man keine Spuren von der Geschicklichkeit einer weiblichen Hand daran gewahrt! - Ihr Begleiter mißt mit dem Auge die Distanz, welche sie durchfahren wollen, giebt dem kleinen Schlitten einen Ruck, und Beide vertrauen sich der Eisbahn an. In demselben Augenblicke tritt der Fürst Minsky ganz außer Athem in den Pavillon; er hofft, noch zeitig genug zur vierten Fahrt zu kommen; schon im Voraus genießt er das Glück, mit der schönsten Frau von Petersburg, mit Vera, die er liebt, die er seit zwei Jahren anbetet, den Berg hinunter zu fahren! Er erhält blos ein spöttisches Lächeln und eine leichte Kopfbewegung als Abschiedsgruß. Er verwünscht das Frühstück seiner Freunde, das ihn aufgehalten hat, und wüthend über Vera's Vergeßlichkeit, vorzüglich aber über das Zeichen mit dem Kopfe, das ihm wie eine Beleidigung von ihrer Seite vorkommt, nimmt er den ersten besten Schlitten, den er findet, schwingt, sich darauf und folgt dem Liebespaare. Seine Hände zittern, sein Gesicht ist trübe; er hat nicht genug ruhiges Blut, um seinen Schlitten gut zu leiten; er rennt gegen die Bretcr, welche die Eisbahn einrahmen, und fällt in einen großen Schneehaufen. Das von allen Seiten erschallende Gelächter, als man ihn ganz weiß aufstchen und auf dem Eise fortwanken sieht, facht seine Wulh noch mehr an. Er läuft, fallt noch einmal, und erreicht endlich Vera in dem Augen blicke, wo sie, auf dem zweiten Berge angekommen, eben im Begriff stand, mit dem jungen Fremden zu rückzufahren. Vladimir gegenüber fühlte sich Vera schuldig, und um ihren Fehler durch einen Scherz wieder gut zu machen, sagte sie zu ihm: „Also haben sich Herr von Minsky und die Un geschicklichkeit doch auch noch gegenseitig kennen gelernt?" „Wie es scheint, hat die Frau Gräfin Lab an off vorausgesehen, daß der sechste Januar ein Tag des Unglücks für mich sein würde," antwortete der Prinz, indem er sich in die Lippen biß, „und hat gefürchtet, einen Theil davon auf sich nehmen zu müssen." Bei den letzten Worten warf er einen grimmigen Blick auf den Fremden, der das Ende dieses kleinen Auftritts ganz ruhig abwartete. Vera fühlte zuerst die Unschicklichkeit desselben; sie wendete sich deßhalb zu ihrem Begleiter und schlug ihm vor, ihre luftige Fahrt fortzusetzen. — Die Menschen haben, im Allge meinen, wenig Gewalt über sich. Unter allen Leiden schaften aber ist es vorzüglich die Eifersucht, die sie am leichtesten aus ihrer Fassung bringt. Auch der Fürst Minsky, in der Gesellschaft durch seinen feinen Ton und seine anmuthigcn Manieren bekannt, vergaß mit einem Male die ihm sonst cigenthümliche Mäßigung. „Man darf also nicht mehr daran zweifeln, daß die Frau Gräfin Labanoff den Fremden unaufhör lich den Vorzug giebt," fuhr er mit Bitterkeit fort, „und ich werde mich also genöthig sehen, das Loos jedes Abenteurers, der, Gott weiß woher? zu uns kommt, zu beneiden?" Bei diesen beleidigenden Worten stieg dem Fran zosen das Blut in's Gesicht. „Gewiß," sagte er mit Entrüstung, „wenn wir er warten müßten, mit solchen groben Beleidigungen empfangen zu werden, so würden wir uns wohl hüten, unser schönes Frankreich zu verlassen; wir würden sie wenigstens nicht in einer solchen Entfernung aufsuchen. Glücklicherweise giebt es selbst in Rußland schöne Ent schädigungen," fuhr er mit verändertem Tone fort, und verbeugte sich gegen die Gräfin. „Sobald ich übrigens das mir zu Theil gewordene süße Geschäft vollendet und die Frau Gräfin an ihren Platz zurückgebracht