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507 glänzenden Ruhms erzählen können. Jeder Schritt in diesem düstern Stadtviertel mahnt an die Vorzeit; man träumt sich leicht und gerne in den beschränkten Kreis des allen reichstädtischcn Lebens, sicht die ehr samen Bürger mit ihrem pedantischen Stolze, betrach tet das häusliche Walten der geschäftigen Hausfrauen und folgt den siltigen Jungfrauen, welche das Geläute des Messners in frommer Einfalt zum Dome ruft, plötzlich rauscht eine Epbemeride der Gegenwart, eine elegant gekleidete Dame vorbei und fliegt mit unsrer poetischen Stimmung in ihren weiten Scidenärmeln von dannen! — Ich stand am Römerberge; bald schweifte mein Blick zum nahen Dome, bald zum Römer, welcher in früheren Jahrhunderten eine bedeutende Rolle gespielt hat. Hier, wo ich jetzt stand, begrüßte der tolle Jubel des Volks den gekrönten Herrscher, wenn er im Krö nungsornate mit Scepter und Reichsapfel, umgeben von seinen Vasallen, dem Römer zuschritt und dort „im alterlhümiichcn Saale" die Huldigungen der Ge treuen empfing. Aus diesem Brunnen flößen Ströme des Weins unter das Freude und Wein trunkene Volk, aber jetzt sprudelt er nüchternes Wasser. — Wir sind in der That sehr nüchtern geworden; wir helfen der Aufklärung durch Dampfkraft und vergehen im Dampfe der Aufklärung! Das Aeußerc des Römers ist unansehnlich und auch das Innere macht keinen großartigen Eindruck, wenn man von allen Erinnerungen, die daran haften, abstrahirt und dieß geschieht fast unwillkürlich, sobald man jenen dicken Frankfurter Stadtsoldaten erblickt, die hcrumschleichendcn Söhne der heiligen Hermandad betrachtet und zufällig erfähit, daß die Gerichtsbehörden der Stadt Frankfurt daselbst ihren Sitz aufgeschlagen haben und von hier aus Recht und Gerechtigkeit hand haben. — Hat der Fremde das Innere des ehrwürdigen Doms und besonders die Krönungskapelle — ein einfaches Gewölbe — betrachtet, so versäume er es nicht, die Höhe des unvollendeten Thurms zu besteigen; nicht, weil er dort ebenfalls auf Reliquien der Vorzeit stoßen wird, sondern weil sich auf dieser luftigen Höhe ein reizendes Panorama vor seinen Blicken entfaltet. Tief unter sich erblickt man das Gewirre der Stadt, in deren Gassen die Menschen mückenähnlich herumschwärmen; Sachsen Hausen und die belebte Mainbrücke liegen vor uns und um einen Anhaltspunkt zu gewinnen, folgt das Auge dem Main mit seinen bewimpelten Schiffen und Böten durch die Fluren, bis daß er sich endlich in weiter Ferne, dort wo der schwarze Punkt — Mainz — sichtbar wird, mit dem Rhein vereinigt und dieser — ein glitzernder Silberfaden — unter den Bergen des Rhcingau's verschwindet; — folgen wir dagegen dem Main in seiner andern Richtung, so führt er uns bei dem gewerbfleißigcn Offenbach vorbei — selbst Hanau wird sichtbar, — und wird durch die blauen Berge des Spessart dem Auge entzogen; — der Odenwald mit seinen finstern Häuptern, die Berg straße mit ihren zahlreichen Ruinen, der Taunus mit seinen Heilquellen und dem kleinen Homburg, der paradiesische Rheingau zeigt sich den Blicken. Auf meinen Streifereien durch die Stadt, wo ich gewöhnlich den Launen des Zufalls folgte, lenkte ich eines Mittags in den Mund einer engen Straße, wo die hohen schwarzräucherigen Giebel der Häuser den Sonnenstrahl abhielten, aus den Löchern — welche man Thüren nennt — Ströme des Unraths hervor quollen und die engen schmutzigen Fenster durch starke Eisenstäbe vergittert waren; mit einem Wort ich war im Ghetto oder in der berüchtigten Frankfurter Judenstraße. Die enge schmutzige Straße war durch Trödelwaaren und Tische mit den verschieden artigsten Gegenständen vollkommen barrikadirt und „Handle was" tönte mir überall entgegen. Ich habe von Jugend auf eine große Antipathie gegen alles Jüdische und würde vielleicht, wenn es in meiner Macht stünde, der Emancipation die größten Hindernisse in den Weg legen, aber hier beschlich mich unwillkürlich eine leichte Wehmuth, wenn ich dieses Volk Gottes ansah, wie cs sich für einen halben Kreuzer abmarterte und jedem Vorübergehenden seine Trödelwaaren fast gewaltsam aufdringen wollte. Wenden wir uns von dieser schmutzigen Judengasse zu der lebendigen, in den Farben der Gegenwart schil lernden Neustadt, wo die prachtvolle „Zeit" vorzüglich unsere Aufmerksamkeit erregen wird. Große Palläste, breite Straßen, geschmackvolle Häuser, prunkende Lä den mit allen Luxusartikeln unseres raffinirten Ge schmacks; elegante Equipagen, betresste Thürhüter und Dienerschaft, Referendarien, Lbargös ä'akkair68, stutzer hafte Gesandtschaflssckretaire, Damen in Seide und Sammet/Grisetten und gamius bringen nach dem Schmutze, welchen wir so eben verlassen haben, durch ihr farbiges Colorit einen angenehmen Eindruck auf das Auge hervor, und man vergäße das reichstädtische Frankfurt, wenn der ehrwürdige Dom nicht zuweilen