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54 Frühstück und fand es eben so neu als originell, eine Schlacht zu liefern, ohne auch nur seine Baracke zu verlassen, ja, nicht einmal vom Tische aufzustchcn. Man war so eben beim Dessert und die fröhlichen Gäste sangen im Chore die Kriegshymne des „ersten Consuls Uebergang über den St. Bernhard," als die englischen Fregatten ihre erste Lage, so nennt man nämlich das Abfeucrn aller Geschütze auf einmal, ab- scuerten. Bruix blieb ruhig; aber die Damen? „Fürchten Sie sich nicht, schöne Damen," sagte er mit feiner Galanterie und seiner bekannten Kaltblütig keit, „es ist nichts." „Durchaus nichts," ergänzte scherzend der Contre- Admiral-Major, welcher sich unter der Zahl der Gäste befand; „allons, meine Herren Officiere, offeriren Sie doch den Damen Champagner." „Admiral, die Flaschen sind leer," erwiderte ein Lieutnant von der Marine. „Champagner, frische Flaschen Champagner," rief Bruix den Dienern zu, „wir werden Zeit genug haben, dieselben zu leeren." Und während er den erschrockenen Damen allerhand Artigkeiten sagte, leitete er die Bewegung der Flotte, dirigirte das Feuer sammtlichcr Batterien der Forts mittelst telegraphischer Zeichen auf der Telegraphentafel am Fenster, in dessen Nahe er dieselbe chatte hcrantra- gen lassen, „damit," sagte er spöttisch, „die Damen das Schauspiel besser genießen." Ungeduldig, auf den Sieg länger zu warten, war Nelson mit seiner ganzen Macht vorgerückt und schien um jeden Preis das seiner Regierung gemachte Ver sprechen, nämlich die französische Flotte im eignen Ha fen von Boulpgne in den Grund zu bohren, erfüllen zu wollen. Allein die Umsicht Bruix und der fehlgeschlagne Wind, der gegen das englische Eskadre wehte, zwang den feindlichen Admiral nach einem hartnäckigem Kampfe zum Rückzuge. „Victoria!" schrie Bruix, als er die Engländer sich zurückziehcn sah, löste rasch den Draht von einer fri schen Flasche, füllte selbst den etwas eingeschüchterten Damen die Glaser und unter dem Knalle neuer Cham- pagnerpsropfen trank er auf die Gesundheit des Kaisers. „Sehen Sie dort am fernen Horizonte die feind liche Flotte?" sagte er, indem ce nach derselben ze>u,e. Alle setzten sich hierauf wieder an ihre Plätze nahmen den Refrain des unterbrochnen Liedes wieder auf und in Ermangelung der verstummten ^anonen schlugen die Herren mit den Messern auf die Ränder der Gläser und Teller. An diesem Tage erkannten die Engländer endlich, daß es ihnen zu schwer sein dürfte, sich der Küste von Boulogne zu nähern, welche sie daher von jetzt nicht anders als die eiserne Küste nannten. Bei der Nachricht von diesem Siege befand sich Napoleon noch zu Saint - Cloud. Als man ihm die Details des Kampfes mittheilte, runzelte er unwill kürlich die Stirn; denn ohne eifersüchtig auf den Ruhm seiner Generale zu sein (auf wem hätte er es sonst sein sollen), so wollte doch er denselben am liebsten selbst an sie austheilen und am allerwenigsten gestatten, daß sie sich denselben, ohne ihn auch nur eine Meldung zu machen, scherzhafterweise eroberten- Der Admiral hatte ihn aber auch nicht das Geringste gemeldet; als ihm daher erst der Secministcr den speciellen Rapport über diesen Seekampf vorlas, sagte er mlt brummi gem Tone: „Es ist Alles recht schön, dennoch ist es aber nicht bei Tafel, in der Gesellschaft von Damen und mit dem Champagnerglase in der Hand, daß man heutzu tage die Schlachten gewinnt. Diese Methode war wohl gut zur Zeit des anoien rogime, doch, Gott sei Dank, sind wir aus diesen Zeiten heraus. Gegenwär tig ist es in der Mitte des Feuers, und mit dem De gen in der Hand, daß man denen, welche man com- mandirt, mit dem Beispiele vorangehcn muß ' Wenige Tage nachher langte der Kaiser selbst in Boulogne an. Nachdem er gleich am Tage seiner Ankunft das General-Magazin, das Arsenal, den Ar- tilleriepark, die Thauwcrkfabrik u. s. w. besucht und alle diese Etablissements bis in die kleinsten Detais inspirirt hatte, kehrte er in ganz besonders guter Laune nach seinem Zelte oder richtiger inline Baracke zurück, um sich der Cabincts - und Sta».lsarbcit zu widmen. Kaum war cs jedoch drei Uhr Nachmittags, als plötzlich ein furchtbares Kanonenfeucr aus der Ferne sich hören ließ und Alles im Lager schrie: „Nelson ist da!" Der englische Admiral hatte nämlich den Kaiser in Begll.iung seines Marinegeneralstabes längs'der Küste oahinwandern sehen und zu seinem Capitain gesagt: „Bonaparte ist in Boulogne." Noch lastet der famöse Schlag, den ihm Bruix beigcbracht, auf seinem Herzen. Er will diese Scharte wieder auswetzcn. Der vermessene Nelson nimmt sich