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53 stellen, wo er die Leichen von zehn Franzosen erblicken konnte, welche Truxillo's Banden erlegen waren. Mehre Stunden lang blieb er nun den fürchterlichsten Proben ausgcsetzt und ward darauf in den Kerker zurückgebracht, welchen er nach dem gräßlichen Schau spiele von zuvor mit Entzücken begrüßte. Seine Ju- gendkrast siegte zum zweiten Male über die geschauten Gräuel und er entschlief, obwohl von schauderhaften Visionen umstellt, abermals, weil die Natur gebieterisch nach einer Erholung verlangte. Und abermals in sei nem tiefsten Schlafe flötete die holde Stimme lockend in sein Ohr: „Steht auf, kommt mit mir, Euer Pferd ist gesattelt. Ich will Euch retten." — Der jugend liche Held erwachte. Noch säuselten die Worte: Ich will Euch retten, kommt! melodisch um ihn und er starrte die Unbekannte an; und lispelte deutsch: „Was will man von mir?" Castanos hörte von dieser neuen Versuchung und rief staunend: „Dieser junge Russe ist ein ganzer Kerl." — Er würde ihn mit Freuden gleich gerettet haben; allein seine Officiere bestanden noch guf einer letzten Probe, die ihnen nicht verweigert werden durfte. Am Morgen darauf ward Lenzinski vor eine Art von Tribunal gestellt, welches aus Officicrcn von Ca- stanos Gcneralstabc zusammengesetzt war. Vor den Richtern angelangt, bat er in deutscher Sprache um einen Dolmetscher und dieß Verlangen wurde gewährt. Zuerst befragte man ihn nun um den Zweck seiner Reise von Madrid nach Lissabon. Natür lich berief sich Lcnzinski auf seine Depesche an den Admiral Rußlands und auf seinen Paß. Hätte nicht die Aussage des Bauers den Verdacht erschwert, so würde man ohne Zweifel, als man die Papiere in Ordnung fand, sich leicht haben beschwichtigen lassen. „Fragt ihn," sagte der Präsident der Commission, „fragt ihn, ob er, da er kein Franzose ist, die Spa nier liebe." Der Dolmetscher übersetzte den Frage punkt. „Ja," antwortete der Lancier, „ich liebe die spani sche Nation und schätze sie um ihres männlichen Cha rakters willen. Ich wünschte sehr, daß unsere Natio nen Freunde wären." „Oberst," beveutctc der Dolmetscher, „der Gefangene erklä-t, daß er uns hasse, weil wir den Krieg führen; wie ^..erde von Bluthunden. Er verachtet uns, und wünscht nichts andres, als daß unser ganzes Volk nur einen Kopf hätte, um mit einem Streiche diesen grausamen und fluchwürdigen Kampf beenden zu können." Während dieser Worte belauerten die Blicke aller Anwesenden mit grimmiger Aufmerksamkeit jede leiseste Regung in dem Gesichte des Gefangenen, um in dem Ausdruck desselben die Wirkung der treulosen Ucbcr- setzung zu erspähen. Lenzinski aber heftete seine Au gen ruhig auf das Tribunal. In seiner Seele gährte es zum Zerbersten. Doch gewann er sich die Kraft ab, sein Gefühl unerkennbar niederzuhalten. „Meine Herren," begann jetzt Castanos aufstehend, „der Bauer hat sich zuverlässig getäuscht. Man setze den Jüngling in Freiheit und lasse ihn ungehindert seinen Weg vollenden. — Er ist, weiß Gott, un verdächtig." „Ja, das ist er," bestätigten die Andern; und die Sitzung wurde aufgehoben. Lenzinski erhielt darauf sein Gepäck und seine Pa piere zurück, ward mit einem Laufpasse versehen und gelangte wohlbehalten nach Lissabon. Zeitgenossenschaftliche Memoiren verbürgen die so eben erzählte Begebenheit, welche vielleicht einem He roen des Alterthums zur Ehre gereichen würde. Eine härtere Probe ist wohl dem menschlichen Gemüthe nie mals auferlcgt, niemals mit größerer Selbstbeherrschung bestanden worden. Die romantische Seeschlacht. Wenige Tage vor der Ankunft Napoleons in Boulogne im Jahre 1804 hatte ein Seetreffen Statt gehabt, wahrhaft merkwürdig durch die Gelassenheit, mit welcher der französische General die Operationen seiner Seeleute leitete, und Nelson, obschon dieser mit weit überlegenem Kräften gekämpft, zum Rückzuge zwang. Fünf Stunden lang bot das von Rauch und Flam men bedeckte Meer der an die Ufer herbeigeeilten Be völkerung von Boulogne bei dieser Gelegenheit das großartige Schauspiel eines Seckampfes dar, wo mehr als achthundert Kanonenschüsse oft auf einmal abge feuert wurden. Das Genie Nelsons hatte für dieß- mal noch nichts gegen dasjenige des französischen Ad mirals Bruix und den Muth der französischen See- soidaten vermocht. In dem Augenblicke nämlich, als der Seetclcgraph die Bewegung der englischen Flotte signalisirte, st'ß Bruix mit seinem Generalstabe und einigen Damen, welche er eingeladen, gerade beim