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572 in Alles mengt, ohne sich dabei wohl zu befinden. Ihre Neugierde macht ihr Sorge über Sorge; wegen eines Grans Vergnügen, das sie dabei hat, kann sie sich nicht entschließen, die Sorgenlast abzuschütteln — ein mächtiges Fatum beherrscht den ganzen Menschen. Fragt einmal einen Deutschen, der ängstlich fremder Sitte huldigt, auf's Gewissen, ob er sich dabei recht glücklich fühle? Er wird euch im Vertrauen eine ver neinende Antwort geben, aber demungcachtet der frem den Sitte forthuldigen. Die Pein ist ihm gar zu süß. Vorzugsweise ist cs die ausländische Klcider- mode, welche uns tyrannjsirt. Lasset heute die Fran zosen eine Tracht erfinden, in der sich die menschliche Gestalt wie ein Lindwurm ausnähme — morgen wür den wir Deutschen sagen: „Ein Lindwurm ist doch ein Ideal von Schönheit!" wenn wir auch in unserm Herzen gerade das Gegcntheil dächten. Wie entsetzlich werdet ihr chikanirt und gemißhandelt, ihr armen Da men, durch die Mode! Die Frage, ob ihr enge oder weite Aermcl, große oder kleine Hüte tragen dürft, nimmt zwei Drittel eures kostbaren Lebens in Anspruch. Jede von euch ist ein weiblicher Hamlet — die Mode ist euer „Sein oder Nichtsein!" Aber was hilft es? Der böse Dämon der Nach ahmung ist ein lebenssatter und ewig lebender Ahas ver, der in jedem deutschen Herzen sein Wesen treibt. Was hilft da das Reden und Schreiben dagegen? Das Unglück ist einmal vorhanden, das Unterhaltendste unter solchen Umstärtden ist eine genaue Bekanntschaft mit diesem Malheur — dicß ist das richtigere Wort. Laßt mich euch Einiges über diesen Punkt mit theilen, ihr schönen Leserinnen, und folgt mir zuvörderst in ein früheres Jahrhundert. Ihr wißt, Kaiser Karl der Große war ein edler und gestrenger Herr und machte nicht viel Federlesens, wenn er bei einem seiner Unterthanen eine Thorhcit oder einen Frevel entdeckte. So hielt er cs auch mit der Modesucht, wie uns mehre alte Schriftsteller erzählen. In den Kriegen mit den Welschen und Galliern hatten die Deutschen deren Moden und Sitten kennen gelernt. Besonders gefielen ihnen die kurzen, aber unbequemen Mäntelchen und Röckchen. Sie trugen also kein Bedenken, dieselben auch bei sich einzuführen. Als dieß Kaiser Karl bemerkte, ward er sehr zornig und sprach: „O ihr Deutschen! Wie seid ihr thöricht und unbeständig,- daß ihr die Kleider Derer, die ihr bestritten und überwunden habt, deren Herren ihr seid, annehmt? Das ist ein schlimmes Zeichen und wird niemals etwas Gutes bedeuten! Ihr nehmet ihnen ihre Kleidung, so werden sie euch eure Herzen nehmen. Was sollen diese welschen Flecke und Hadern? Sie decken nicht einmal den Leib, lassen ihn halb entblöst und helfen weder gegen Hitze noch Kälte, weder gegen Regen noch Wind." Darauf ließ er ein Landesgebot öffentlich bekannt machen, daß man solche französische Kleider weder kau fen noch verkaufen solle. Er selbst trug im Winter gewöhnlich nach dem alten Brauch ein Wamms von Wolfs- oder Fuchspelz, oder auch blos eins von Schaffellen. Einst, als er in Friaul in den Winter quartieren lag, sah er, daß die Deutschen von den venctianischcn Kauflcuten ausländische köstliche Stoffe und Pelze kauften und damit herumstuhertcn. Das verdroß ihn und er beschloß ein Erempcl zu statuiren. Er veranstaltete eine Jagd, da es gerade stark regnete, und nahm die vornehmsten Klcidernarrcn mit, die der maßen von Frost und Nässe litten, daß sie laut mit den Zähnen klapperten. Zum Uebcrfluß führte er sie noch durch Dornen und Gesträuch und lachte sich heim lich in die Faust, als die schönen Röcke bald zu Fetzen zerrissen wurden. Nach der Rückkehr von der Jagd wollten sie sich beurlauben, um die Kleider zu wechseln, aber der Kaiser sagte zu ihnen: „O bleibt nur, ihr Herren, ich ziehe meinen Rock ebenfalls nicht vor dem Abendessen aus." Nun ließ er den Tisch nahe an den Kamin rücken, und nun verdarb das Feuer vollends noch die ohnedicß ruinirten Kleider. So mußten die Herren bis tief in die Nacht hinein sitzen. Am andern Morgen ließ er sie vor sich kommen und fragte sie nach ihrer feinen Tracht. Als sie zur Antwort gaben, daß dieselbe völlig unbrauchbar geworden, zeigte er ihnen seinen Pelz, den er indessen an der Luft hatte trocknen lassen, und sprach: „Seht, ihr albernen Leute, seht! Welches Kleid ist nun besser, das meine, was mich einen Schilling kostet, oder das eure, womit ihr große Summen verschwendet habt?" Seit dieser Zeit hüteten sich die Deutschen vor fremden Moden; nämlich so lange ihr großer Kaiser lebte. Kaum aber hatte er die Augen zugethan, als der alte Trieb mit erneuter Heftigkeit wieder erwachte. O du würdiger Kaiser Karl! Was würdest du dazu sagen, wenn du jetzt auferstündest und unsere elegan ten Herrchen einherstolzieren sähest in der neuesten Pariser Tracht? Wenn du Humor genug hättest, würdest du laut lachen und einsehen, daß die Deutschen in dieser Beziehung unverbesserlich sind. Eine Jagd,