Volltext Seite (XML)
539 ich bin unschuldig.... Außerdem ist das seine Me daille. ..." Der Lärm kam aus der Kammer, wo ihr Sohn schlief. Zitternd, säst außer sich stand sie auf und ging hinein. Welche Bestürzung!... Ihr Sohn lag in einem gräßlichen Traume und wiederholte noch immer die Worte, worüber sic aufgewacht war; sie trat an's Bett und rief: „Paddy! Paddy!" Aber er träumte immer fort. „Paddy!" rüste sie noch einmal, indem sie ihn beim Arme faßte. Durch das Rütteln wacht ihr Sohn endlich auf, fährt plötzlich erschreckt in die Höhe und blickt mit ver störten Augen um sich herum. Er stammelt einige ihr unverständliche Worte, jedoch endlich erkennt er seine Mutter und spricht: „Es ist Nichts, gar Nichts; ich hatte einen fürch terlichen Traum. Habe ich etwa im Schlafe geredet?" „Ja wohl, Du sprachst von Mord, von Dorgan; es schien, als würdest Du dieses Verbrechens ange klagt und wolltest Dich vcrtheidigcn." Paddy sammelte sich erst einen Augenblick, dann sagte er: „Wahrscheinlich hat das traurige Schauspiel, von dem ich gestern Zeuge war, meinen Kopf verwirrt; allein jetzt bin ich ruhig.... Es braucht von diesem Traume nicht gesprochen zu werden," fügte er noch hinzu, „denn man könnte daraus einen Verdacht schöpfen." Am andern Morgen trat ganz zeitig ein Fischer in das Häuschen, um Paddy abzuholcn. „Die Kähne sind bereit," sagte der Mann zu ihm, „und die Fischer sind in Earrigaholt im Gasthofe „zur Königin Charlotte" beisammen, um Dorgan vorüberkommen zu sehen, da man ihn nach Ennis ab- führen will;" dann setzte er noch hinzu, daß Dor- gan's Urthcil bei den nächsten Assisen gefällt werden vürde, daß er aber den Wirth und sämmtliche Per- vncn, mit denen er seit seiner Ankunft zusammenge- vesen sei, als Zeugen aufzurufen beabsichtige und durch icse Confrontalion seine Unschuld darzuthun hoffe. Diese Worte jagten dem Herzen des unglücklichen »addy einen Schrecken ein; aber ein besonderer Zu ll vermehrte noch seine Angst. Gerade als er am amine vorüberging, löste sich ein Stein von der Decke > und streifte so nahe an seinem Kopfe hin, daß ffer Stein, wäre er nur um eine Linie anders ge llen, ihn zerschmettert haben würde. Nun verließen beide Freunde die Hütte. Paddy brachte, unter dem Vorwände, es sei schon zu spät, seinen Freund von der Idee ab, in das Gasthaus „zur Königin Charlotte" zu gehen, Beide wen deten sich sogleich nach der Seite der Küste hin, wo ihre Kähne standen. Bald nachher kamen auch die übrigen Fischer, die den Zug gesehen hatten, und un terhielten sich lebhaft unter einander über diese traurige Geschichte. Der Fischzug begann; er war glücklich. Wenn die Fischer zurückkehrcn, bleiben sie gewöhnlich, während ihre Fische in der Stadt verkauft werden, auf den Felsen, wo sie Muscheln von verschiedenen Gat tungen zur Nahrung für sich sammeln. Diese Muscheln finden sich in großer Menge in den Spalten hoher Felsen, womit die Küste gleichsam besäet ist; um sie heraufzuholen, befestigt man oben am Felsen ein Seil, an welchem man sich anklammcrt und langsam herab gleiten läßt. Diese Art Fischerei ist sehr gefährlich, denn der Fischer wird bisweilen, in einer Höhe von mehr als 200 Fuß, durch weiter Nichts gehalten, als durch ein Seil, das ihn, wenn es risse, auf die schar fen Spitzen der Felsen, die drunter sind, fallen ließe; allein die Gewohnheit bewirkt, daß man sich dieser Beschäftigung sogar mit Vergnügen widmet. Paddy hatte dieser Gefahr schon tausendmal in seinem Leben Trotz geboten, ohne sich zu fürchten; dieses Mal em pfand er einen gewissen Widerwillen und war vor sichtiger, als gewöhnlich. Als der Augenblick erschien, wo er hinabsteigen mußte, befestigte er das Seil mit ängstlicher Sorgfalt um seinen Leib, man sah, wie er es anfaßte und sich mit den Händen so gewaltig daran klammerte, daß seine Kameraden nicht umhin konnten, sich über seine Feigheit lustig zu machen. Ach! der Arme war mehr todk, als lebendig. Allein denken Sie sich, mein Herr, wie groß sein Schreck sein mußte! Kaum war er bis zur Hälfte des Seiles gekommen, als er über seinem Kopfe ein leichtes Geräusch ver nahm; er sieht in die Höhe und bemerkt, daß eine Litze am Seil so eben gerissen ist. Die ganze Last seines Körpers mußte ein Seil halten, das kaum die Dicke eines kleinen Fingers hatte; noch nie war Jemand größerer Gefahr ausgesetzt gewesen. Zweihundert Fuß un ter sich sah er spitzige Felsen, an denen sich die Meeres wellen brachen, und von dem Gipfel des Felsen war er über hundert Fuß entfernt. Was war zu thun? Die geringste Bewegung konnte unglücklich für ihn ausfallen, und die Furcht, die Gefahr zu vergrößern, beraubte ihn auch noch der Fähigkeit, irgend etwas zu