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456 „Bah! Wie zum Guckuck soll ich an sie kommen, wenn ich sie kaum von Sehen kenne? Wer wird mich ihr verstellen?" meinte Kapitän Jean. „Das lasse meine Sorge sein; mache aber Ernst, ich rathe Dir; Du bist noch gerade in einem Alter, wo man darauf denken muß, sich ein warmes Nestchen für die alten Tage anzuschaffen. Ich werde Dich der Madame Challon verstellen; hübsch ist sie zwar nicht, jung gerade auch nicht, aber sie hat ihr gutes, ein trägliches Gewerbe, viel Geld, ist sparsam, anspruchs los, und kann ihrem Gatten die schönste Zukunft in Aussicht stellen. Deine Aussichten, wenn Du es noch lange forttrcibst wie bisher, sind: der Schuldthurm und der Hunger. Drum sei klug und folge. Es wird nur von Dir abhängen, die Zierbengel oder Pflastertreter, welche die Wittwe jetzt umschwärmen, aus dem Sattel zu heben oder nicht!" Der Herr Kapitän konnte seinem Oheim nicht Un recht geben. Er ließ die Enden des Schnurrbarts durch die Finger laufen, that einen herzhaften Soldaten fluch und meinte: „Es lasse sich ja versuchen, ob der Platz zu nehmen sei." In schönster Galle stellte er sich Abends bei dem Oheim ein, der ihn zu der Schönfärber - Wittwe mit nahm und ihn vorstelltc. Jean war die Galanterie selber und bemerkte mit Entzücken, daß er der Wittwe nicht mißfalle. Ein zweiter Cäsar, konnte er, sagen: er kam, sah und siegte; die Einladung, öfter zu kommen, benutzte er gewissenhaft, und in weniger als einem Monate war es ihm gelungen, das Herz und die Hand der dicken Wittwe mit Sturm zu nehmen, nachdem er durch wüthige Blicke die zudringlichen schmachtenden Pflastertreter entfernt. Madame Chal lon meinte, ein alter Soldat, zumal ein Hauptmann von der, alten Garde, werde am besten verstehen, ihre zahlreichen Arbeiter in Subordination und Pflicht zu erhalten, und schmeichelte dadurch zugleich ihrer Eitelkeit. Sie wurden ein Paar. Der Kapitän gefiel sich recht gut in seiner neuen Lage; «eben sicher Gage hatte er freie Station, ein tüchtiges Tascheisi^ld, wenige Geschäfte und hübsche Equipage zu seiner^Vcrfügung. Seine Gattin war zufrieden, wenn er ihr^as Regiment im Hause nicht streitig machte; sie leitete^nd überwachte das ganze Geschäft, und nur wenn c!x säumiger Zahler oder böser Schuldner unter ihren Kunde« Winkelzüge machte, nahm sic die Beihülfe ihres Galten in Anspruch, der aber da:- Energie entwickele, daß auch die Pfiffigsten und Säumigsten zur Pflicht gebrac wurden. Jean liebte bald seinen neuen Stand, o wohl er sich noch mit Vergnügen die sckssne Zeit in Gedächtniß rief, wo er an der Spitze ft'.ier Compagn die Schlachten des Kaiserreichs und ^er Republik mi gesuchten und als Sieger halb Eurcha durchzogen, ii Gefolge eines Feldherrn, mit reichem er mehr de Ruhm als das Glück gctheilt hake. Jean war ein« jener ehrenwerthen Veteranen, oelche, wenn sie de, Vaterlands nicht mehr unter .ein Lorbeer zu diene vermochten, unter dem Oelzwese sein Wohl begründe halfen und sich stets als gute Würger und rechtschaffen Haus- und Familienväter erviesen. Nach dreizehn Monden Mcklicher Ehe legte Madam Tulipcau ihrem Gatte: ein niedliches Mädchen ii die Arme; die Freude kB Ehepaares kannte kein Grenzen, um so mehr alZMadame Tulipeau bishc gleich Sara ihre Unfruchlbekeit seufzend belra. Jean schwur in seiner F'.eude, neun un Millionen Bomben sollten ihn zerschmettern, das Mädchen nicht seinem Kaiser zuMrcn Na taufen lasse, was denn auch geschah. — Waren Jean und seine Frau zuvor cü gewesen und hatten sich gegenseitig geachtet, sie jetzt, wo das Töchterchen als Binden Cenlralpunkr ihrer beiderseitigen Liebe zwisch stand, sogar zärtlich und liebten sich. Die klei — so hatte nämlich das ganze Haus des Kir Namen abgekürzt — der man eine kräftige geben, nahm zu an Alter, Schönheit und daß man, als sie vier Jahre alt war, in ! Normandie kaum ein hübscheres Mädchcnköpfl konnte, als das ihre; nur zu bald verstand s auch, die Liebe der Eltern zu Befriedigung kleinen eigensinnigen Launen zu benutzen, so — zwar das schönste, aber auch — das Kind. , Mit dem Erwachen ihres Verstandes ük guten Kapitän Jean ein Kummer, der zuvor nie gekannten Ehrgeiz herrührte. Nie ! pcau sich sehnlicher als jeßt das Kreuz lcgion gewünscht, wodurch er die nunmcl düng empfängliche Tochter in dem F St. Denis hätte unterbringen können, u den Töchtern der Marschälle und Generale s erzogen und gcbildes zu werden. Die g, hätte er gebracht, um diesen Lieblingswui siren; und nicht ohne Beklemmung hör