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449 „Glaubst Du wirklich, Natalie," sprach der edle Mann, seinem bisher stummen Schmerz gewaltsam diese Worte «bringend, „glaubst Du, daß ich des Kin des Leben um den Preis des Deinigen erkaufen und selbst daß sein Leben mich freuen könnte, wenn der Tod Dich mir entrisse? Fühlst Du nicht, daß ich das Kind mehr noch liebe, weil es das Deinige, als weil cs mein ist?" Mit hcrvorbrcchcnden Thrancn sank Natalie in ihres Gatten Arme. „Liebst Du mich denn wirklich noch', Waldemar?" rief sie wie außer sich, „sprich, ich beschwöre Dich bei unsrer Hoffnung auf Gottes Beistand, täusche mich nicht in dieser heiligen Stunde, wo eine Furcht,' eine Hoffnung uns verknüpft, in dieser Stunde voll unsäglichen Bangens, wo von einem Athemzuge all' die Möglichkeit, wieder gut machen zu können, was ich an Dir und Deinem Kinde bisher versäumt und verschuldet — für mich Unglückselige ab hängt." „Woraus konntest Du schließen," sprach Balsau sanft, „daß ich Dich jetzt weniger lieben sollte, als in dem Augenblick, da ich Deine Hand von Deinem Va ter als Bedingung meines Glücks erbat? — Ich glaubte Dir handelnd meine Liebe besser beweisen zu können, als sprechend." „Nun denn!" rief Natalie begeistert und eine Purpurrölhe überzog, ihr Gesicht, „nicht jetzt flehe ich Deine Verzeihung für das Vergangene, nicht jetzt in den Augenblicken, wo Kummer und Mitleid Dich weich gemacht und Dir das Gedächtniß geraubt haben können für meine Fehler. Aber, Waldemar — wenn, in einem Jahre Du nicht mit Ueberzeugung mich Deiner Verzeihung wcrth achten kannst, wenn ich nicht eine Andere, die nur erröthend daran denkt, wie sie war — vor Dir stehe — Du einziger, wohl oft ze itig verkannter und gekränkter Freund — dann gieb «ich auf, verstoße, tödte, was schlimmer als dieß llles für mich ist — hasse und verachte mich." Statt aller Antwort schloß Balsau die gleichsam 'cdergebornc Gattin in seine Anne und Beider Thrä- n flössen als eine reiche Quelle häuslichen Glücks ' die Zukunft, als heilige Libation der Versöhnung einander. Nicht die bittern Thräncn der Reue, wohl aber udcnthränen weinend warf sich nun auch Anna die Brust ihrer Tante und mit reinerer innigerer mndcrung, als je zuvor, wenn das Flittergold gemißbrauchten Talente und ihre oft gar verderb liche Gewandtheit zu Erreichung ihrer Zwecke und egoistischen Pläne das junge Mädchen in Erstaunen ge setzt hatte — blickte sie jetzt in das Auge der sich end lich nach langem Jrrthum Erkennenden. Als am nächsten Morgen der Arzt erschien, fand er zwei Kranke, statt des am Abend zuvor in mehr als bedenklichem Zustande verlassenen Kindes. Wider Erwarten jedoch hatte es sich über Nacht,mit dxr kleinen Eugen ie bedeutend gebessert. Die Delirien hatten nachgelassen und ein wohlthätiger Schweiß war an die Stelle der trocknen brennenden Fieberhitze ge treten. Aber bleich und vor Angst bebend saß Na talie am Bett ihres Kindes. Die Aufregung des vergangenen Abends, die Erkältung auf dem Nach hauseweg und dann die Angst, wie die Schicksals würfel über Leben oder Tod wohl fallen und ob nicht ein Schlag vielleicht die junge Saat ihrer Hoffnungen für die Zukunft vernichten möchte, dieß Alles hatte im höchsten Grad die ncrvenreizbare Frau dergestalt er griffen, daß sie am Morgen nach der fürchterlichsten Nacht ihres Lebens, ohne selbst es zu wissen und über haupt nur etwas noch zu empfinden — schwer erkrankt war und gerade in Anwesenheit des Arztes bewußtlos vom Sessel herab zu Boden sank. Als sie die Augen wieder öffnete, fand sie sich im Bett und die Krank heit, deren Beute sie so plötzlich geworden war — hatte ihr nur noch so viel Erinnerung gelassen, daß sie wußte, ihre Tochter sei krank und ihr Mann, der ihr eben ein Arzneimittel reichte, sei von dem Krankenbett seines Kindes hinweg an das ihre geeilt. Sie nannte Eugeniens Namen, drückte des Gatten Hand an ihre Lippen und deutete nach dem Zimmer des Kindes — denn mehr zu sprechen gebrach es ihr an Kräften. Aber Balsau legte ihre Hand auf sein Herz, machte eine verneinende Kopfbewegung und nannte der Gattin Anna's Namen. Nun brauste es ihr wieder vor den Ohren, taufend Regenbogen gaukelten in ihren bunten Farben auf- und abschwebend vor ihren Augen und das Scheingefühl des Nichtseins schloß sie in seine eisernen Arme. — Etwa zwei bis drei Monate später feierte man im Balsau'schcn Hause ein Familienfest, nicht mit der gewöhnlichen, von Natalien oft mit unkluger Ver schwendung herbeigeführten Pracht, aber man feierte ein dreifaches, sehr glückliches Fest, wobei die frohen Gesichter der Betheiligten die schönsten Dekorationen waren. Nataliens und ihrer Tochter Genesung und Anna's Verlobung mit Adolph feierte nur vor