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38 Nur dadurch, daß Sie mit Gewalt und auf künstlichem Wege dem Schlafe in die Arme geführt wurden, konn ten Sie von Ihrer fixen Idee geheilt werden." „Nochmals meinen innigsten Dank," wiederholte Falkenstein; „da mir aber die Vorsehung noch ein län geres Leben bestimmt hat, in welchem ich noch manche Schulden abzutragen habe, so will ich mit meiner größten Schuld beginnen. — So erfahren Sie denn, mein edler Freund, daß Ihr Pflegesohn Alban mein Bruder ist." „Herr Graf, Sie träumen oder scherzen," erwiderte Cornelius. „Weder träume, noch scherze ich," versetzte lächelnd der Graf. „Nachdem meine Stiefmutter gestorben war, brachte ich's dahin, daß er, ein hülfloses Kind, vom Schlosse heimlich entfernt und im Walde ausge setzt wurde. Der Helfershelfer, den ich hierzu gedun gen hatte, sollte dasselbe eigentlich tödten; aber er war, dem Himmel sei Dank, nicht von aller Menschlichkeit verlassen und ersparte mir dieses große Verbrechen. Er trug das Knäblein in den Wald, wo es bald ein gütiges Schicksal wollte, daß Sie das Hülflose ausfan den und an Kindcsstatt annahmcn. Meinem Vater wurde vorgespiegelt, das Kind sei in einer der unergründ lichen Schluchten in der Nähe des Schloßbcrgcs verun glückt; aber er hat es nie geglaubt und hoffte bis an seinen Tod, das Verlorne werde zurückkehren. Darum hatte er auch im Testamente meinen Bruder reichlich bedacht." Ein unwillkürlicher Schauer erfaßte hier den Er zähler. Ucbergehen wir jene Tage," sprach er, „mein erstes und heiligstes Geschäft sei dafür, daß ich die Hälfte meiner Güter, ganz wie es das Testament besagt, an meinen Bruder abtrete. Wir haben Beide genug und wollen hinfort in Frieden und Eintracht mit einander leben. Vielleicht daß cs mir gelingt, durch mein künf tiges Leben zu zeigen, daß ich der Gnade des Him mels nicht ganz unwerth bin." Cornelius halte mit gefalteten Händen der wun derbaren Rede des Grasen zugehört. Er pries Gott, den liebenden Vater, der das Herz des Sünders er weicht und ihm den Weg des Heils gezeigt hatte. Der Graf hielt Wort. Was er gelobt in jenen verhängnißvollen Augenblicken seines Lebens, er hat es gehalten bis an seinen Tod. Von Stund' an ward er ein andrer Mensch. Nachdem Alban mündig ge worden, übernahm er die Verwaltung des ihm zuge- fallnen Thcils der gräflichen Besitzungen. In Fried' und Freundschaft lebten die beiden Brüder beisammen. Bald erkannten die Unterthanen der Herrschaft Falken stein , daß ein Geist des Friedens und der Milde über, ihnen walte. Mit größrer Lust gingen sie daher auch ihrer Berufsarbeit nach und Alles gewann ein freundlicheres Aussehn. Nach wenigen Jahren glich die Grafschaft Falkenstcin, die früher allerorts nur einen düstcrn An blick gewährte, einem kleinen Paradiese. Nach einigen Jahren starb der edle Cornelius den Tod des Weisen. Vorher noch hatte er die Freude zu sehen, wie die benachbarte Landschaft so fröhlich emporblühte. Ungefähr ein Jahr vor seinem Tode, legte er die Hand seiner.Tochter Theodolinde in die seines edlen Pfleglings Alban. Das glückliche Paar zog nach dem Falkenstein, und obschon Alban jetzt mit irdischen Gütern hinrei chend gesegnet war, so ließ er sich's doch nicht nehmen, wie ehedem als kunsterfahrncr Arzt seinen eignen Un- terlhancn ein^Aendcr Engel zu sein. Der G>-af von Falkenstein war nie vcrheirathet. Sein Hauptgeschäft bestand im Wohlthun, worin er nie ermüdete, um sein früheres Leben so viel als möglich vergessen zu machen. Er erreichte ein hohes Alter, geachtet und geliebt von Allen, die ihn kannten. Als seine letzte Stunde gckom laltete er Hände. . patte er ' und fürchtete ihn sanften Henne An einem hinaustragcn lassen i. stehenden Garten. Ringsumher blühcte und duftete cs. Die ganze Schöpfung lag im rothen Scheine des Abends. Allmählig verglimmten die goldenen Kuppen der Abcndbergc; immer dunklere Flore sanken hernie der. Aus der Ferne klang stilles Abendläuten und aus dem nahen Buchenwalde schlug die Nachtigall herüber. — Da neigte sich ermüdet das Haupt des Greises auf die Brust; ein sanfter Schlummer umsing ihn, lächelnde Traumgebilde zogen vorüber, sein alter Vater erschien und winkte; der Schlaf ward immer tiefer, bis er endlich seinem Zwillingsbrudcr die Hand reichte. Der Abendstern aber, der am westlichen Himmel immer siegender hervortrat, leuchtete bereits der befrei ten Seele auf ihrem Gange nach der neuen Heimath.