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378 bei ihm einesthcilK an die Stelle der Freundschaft die Liebe, andernthcils aber hatte sich die Liebe in Freund schaft verwandelt. Das Herz dieses jungen Mannes war so gut, so warm, daß er sich über das, was mit ihm vorging, keine Rechenschaft geben konnte. Als er jedoch darüber mit sich im Reinen war, unterhandelte er nickt erst noch länger mit seinem Ge wissen: er entschloß sich, abzureisen. Sarah's Trau rigkeit , ihre liebenswürdige Bescheidenheit, ihre zurück haltende , einen edeln Stolz verralhende Zärtlichkeit — dieß Alles zusammcngenommen begeisterte ihn vollends! Mittheilend und empfänglich, wie er war, fühlte er recht gut, daß er nicht lange Herr über sein Geheimniß bleiben würde; sein Vorsatz gedieh jedoch erst zur völli gen Reife, als er sähe, daß Metella ihn durchschaut hatte. In der That, Lady Mowbray kannte jeden Zug seines Charakters so wie seines Gesichts zu genau, als daß sie nicht, vielleicht eher als er selbst, hätte merken sollen, was er in Sarah's Nähe empfand: dieß war für sie der letzte Schlag, denn, trotz ihrer Güte, ihrer Ergebung und ihrer Klugheit liebte sie doch immer noch Olivier, wie in den ersten Tagen. Ihr Be tragen gegen ihn hatte jene Würde angenommen, welche mit der die Leidenschaften veredelnden Zeit nothwcndig eintrrten muß; allein das Herz dieser unglücklichen Frau war noch eben so jung und frisch, wie Sarah's Heez. Sie wurde vor Schmerz und Unruhe fast wahn sinnig ! Sollte sie ihre Nichte der Gefahr aussetzen, eine gethcilte Liebe zu besitzen? Sollte sie eine Heirath begünstigen, welche allem geistigen und sittlichen Zart gefühle Hohn zu sprechen schien? Und doch, konnte sie etwas dagegen einwenden, wenn Olivier und Sarah es einstimmig wünschten? Gleichwohl war es nithig, sich zu erklären und, um aus dieser Ungewiß heit zu kommen, Olivier über seine Absichten zu be fragen, aber unter welchem Vorwände? Sollte sie ils verzweifelte Geliebte Olivier's, oder als einsichts volle Mutier Sarah's ein Geständniß von ihm ver langen, das ihm so schwer werden mußte? Eines Abends sprach Olivier von einer Reise nach Lyon, wozu er mehre Tage nöthig haben würde. Lady Mowbray empfing, in ihrer verzweifelten Lage, diese Nachricht mit Freuden, und betrachtete sie wie eine Verzögcrungsfrist für ihre Leiden. Am folgenden Tage ließ Olivier sein Pferd satteln, um nach Genf u reiten, von wo aus er Pvstpfcrde nehmen mußte. trat in den Saal, um den beiden Damen Lebewohl zu sagen. Sarahs deren Hand er zum ersten Male in seinem Leben küßte, wurde so verlegen, daß sie ihn nicht anzublicken wagte; Metella hingegen betrachtete ihn ganz aufmerksam: er war sehr blaß und ruhig, wie Einer, der muthig eine schwere Pflicht erfüllt. Als er Lady Mowbray umarmte, verließ ihn au genscheinlich seine Kraft; Thränen standen ihm in den Augen, mit konvulsivisch zitternder Hand übergab er ihr einen noch feuchten Brief . . . Dann stürzte er eiligst hinaus, schwang sich auf sein Roß und ritt im Galopp von dannen. Metella blieb auf dem Altan, bis sie die Hufschläge seines Pferdes nicht mehr ver nahm; dann legte sic die eine Hand auf ihr Herz, drückte mit der andern den Brief und sah ein, daß nun für sie Alles aus sei. Sie kehrte in den Saal zurück. Sarah hatte sich über ihre Stickerei vorgebogcn und that, als ob sie arbeite, um ihrer Tante zu beweisen, daß sie Muth besitze und ihr Versprechen halten könne; aber sie sah so blaß aus, wie Metella, und fühlte, wie diese, nicht mehr, ob ihr Herz noch schlage. Lady Mowbray ging durch den Saal, ohne ein einziges Wort mit ihr zu sprechen, sic begab sich auf ihr Zimmer und las Olivier's Billet. „Ich reise ab; Sie werden mich nicht Wiedersehen, wenigstens nicht vor Ablauf mchrer Jahre . . . und bevor Miß Mowbray vcrheirathet sein wird! . . . Fragen Sie mich nicht, weßhalb ich Sie verlassen muß; wenn Sie cs aber wissen, so sprechen Sie nie mit mir darüber!" Metella glaubte sterben zu müssen, aber sie er fuhr, daß die Natur stärker ist als der Kummer. Sie konnte nicht weinen, sic erstickte beinahe und hatte große Lust, mit dem Kopfe gegen die Wände ihres Zimmers zu rennen; dann dachte sie an Sarah . . . Haß und Wuth erfüllte einen Augenblick ihre Brust. „Verflucht sei der Tag, an welchem Du hierhcrgc- kommcn bist!" rief sie aus. „Der Schutz, den ich Dir gewährte, kommt mir theuer zu stehen; mein Bru der hat mir das Kleid der Dcjanira vermacht.'" Jetzt hörte sie Sarah sich nahen und wurde auf der Stelle ruhig; der Anblick dieses liebenswürdigen Wesens weckte von Neuem ihre Zärtlichkeit, sie streckte ihr die Arme entgegen. „Ach Gott! was geht mit uns vor?" rief Sarah mit Entsetzen aus. „Liebe Tante, wohin ist denn Olivier gegangen?" „Er will eine Reise seiner Gesundheit wegen machen,"