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32 ihre Vorposten bis an die Barriöre aufstellte, die für den Eintritt des Dauphin bestimmt war. Jndeß harten Duchatel und Giac ihre Unterredung fortgesetzt und trennten sich erst bei dem Anblicke der eingenommenen Stellung. Giac schlug den Weg nach Bray ein, wo ihn Herzog Johann erwartete, indeß Duchatel zum Dauphin von Frankreich sich begab. Am Abend desselben Tages, während im großen Versammlungssaale laute Freude den Becher schwang und ihre Lieder ertönen ließ, die Gesellschaft Toast auf Toast ausbrachte und Glückwünsche für die Dauer der bevorstehenden Versöhnung aussprach, saß Adöle in ihrem kleinen Gemache so weit von den Fröhlichen entfernt, daß nur ganz leise die Töne des Jubels her überschollen. Die Dämmerung erhellte nur wenig eine kleine von der Decke niederhängende Lampe, die ihre matten Strahlen auf ein schönes in Thränen schwim mendes Auge warf. Adöle sah vor sich nieder wie Menschen, die um sich geblickt, und sich allein sahen; die ihre Augen zum Himmel erhoben und auch dort das Morgenroth der Hoffnung nicht erspähen konnten. Ihre Gedanken schienen auf einen Punkt gerichtet zu sein und zu ihrer Function nicht der Worte zu bedür fen, sondern nur als Begriffe, als lebhaft wechselnde Bilder zu bestehen. Ihre Hände lagen nachlässig im Schooße gefaltet, erhoben sich manchmal auf einen Augenblick wie zum Gebet, sanken aber schnell wieder, als wären sie von der Nutzlosigkeit überzeugt. Fast ohne die Eintretende bemerkt zu haben, fühlte sich Aböle von den Armen ihrer Schwester umschlungen und erhob den Blick zu den milden Zügen derselben. „Mein Gott! Was fehlt Dir, liebe, theure Schwe ster?" „Laß mich, es ist Alles verloren." „Um Gotteswillen, was ist geschehen? Wenn Du etwas verloren gibst, dann ist auch keine Rettung mehr." „Noch steht mir keine Wirklichkeit lebendig vor den Augen, aber Gewißheit habe ich, daß etwas Entsetzli ches im Werke ist. Glaubst Du, Carl will sich im Ernste mit Johann versöhnen, mit dem edlen Helden, den er in der Tiefe seines Innern tödtlich haßt? Welch eine Schadenfreude, wie ich sie nur in den Zügen ei nes Teufels suchen könnte, glänzte in den Zügen No- ailles und Duchatel's, die beide der Herzog zu seinen Feinden hat. Der erste haßt ihn seit den Kinderjah- rcn und weiß nicht einmal die Ursache mehr, wie uns der Aberglaube aus der Jugendzeit im späten Alter noch Gefährte bleibt. Der zweite würde ihn mit einer Umarmung gleich der Physale vergiften, weil Johann den natürlichen Sohn desselben vom Hofe ausschloß. Aber beide hätten nichts gewagt, hätten sie treue Freunde an des Herzogs Seite gewußt." „Wo könnte hier der Vcrrath seine Wurzeln schlagen?" „Giac ist's, der erklärte Liebling des Herrn." „Nicht möglich!" „Ich sage Dir, er ist's. Weil Giac tapfer, helden- müthig, tugendhaft war, zweifelst Du? Es sind En gel gefallen und sie waren mehr, als das Alles zu sammen." „Das wäre schrecklich!" „O ich wollte cs tragen, hätte er eine Ursache dazu, ja nur einen Scheingrund wie die andern, aber so! Nein, cs ist nicht möglich. Es gibt keinen Menschen, der das Schlechte nur des Schlechten willen thut, jeder sagt sich selbst einen Grund vor, will sich vor sich selbst entschuldigen. Giac hat keinen und ist dennoch ein Verräther. Der Herzog liebte ihn als Freund seit langen Jahren." „Adöle laß mich aufrichtig zu Dir reden, weißt Du, daß eine Verschwörung da ist und Giac mit im Bunde?" „Ja. Die heimlichen Zusammenkünfte der drei Männer, die sich öffentlich mit Sorgfalt getrennt zei gen, ihre Winke, wenn sie sich unbemerkt glauben und die Zeichen des tödtlichsten Hasses gegen den Herzog, reden laut dafür, zumal jetzt auch Gelegenheit da wäre zur Rache." „Nun so will ich Dir sagen, warum sich Giac den andern anschlicßt, wenn etwas im Werke sein sollte. Es ist Deine Liebe zu Herzog Johann." „Meine Liebe? Ich liebe ihn nicht. Er steht vor mir als das Ideal eines Mannes, er übertrifft weit in jeder Tugend meinen Gemahl, ich würde ihn lieben, wenn ich nicht am Altäre die Liebe zu einem andern Manne als Giac abgeschworcn hätte. Bewunderung ist es, die ich. für ihn fühle, den höchsten dankbaren Mrad von Freundschaft, nenn' es Anbetung, wenn Du Schwärmerin bist, aber Liebe fühle ich nicht." (Fortsetzung folgt.) Druck von C. P. Melzer in Leipzig.