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377 worin Du Dich ihm gegenüber befindest," sagte sie, „ist es das erste und zugleich wichtigste Erforderniß, Deine Liebe nicht zu gestehen, bevor Du weißt, ob Du geliebt wirst!" „Ach, ganz gewiß, liebe Tante," sagte Sarah er- röthcnd. „Ohne Zweifel, liebes Kind, brauche ich nicht erst an Deine Schamhaftigkeit und Dein Selbstgefühl zu appellircn; beide müssen Dir die erforderliche Klugheit und Herrschaft über Dich selbst verleihen . . „Ach, gewiß, liebe Tante," entgegnete die junge Engländerin mit eben so viel Stolz als Wehmuth, wodurch sie den Ausdruck einer Märtyrin von Schido erhielt. „Wenn mein Sohn," fuhr Metclla fort, „wirk lich an den ehelosen Stand gekeltet sein sollte, und zwar durch irgend ein Gelübde, daß er auch selbst mir nicht anvertrauen könne, dann, liebe Sarah, würde es wohl nöthig sein, daß Ihr Euch trenntet . . ." „Ach!" rief Sarah erschrocken aus, „dann würden Sie mich wohl forlschicken? Und ich müßte entweder ins Kloster oder nach England zurückkchren? Fern von ihm, fern von Ihnen, ganz allein! . . . Ach, darüber würde ich sterben, nachdem ich früher so geliebt worden bin!" „Nein," sagte Metclla mit bedeutungsvoller Stimme, „icb werde Dich niemals verlassen; Du hast mich nöthig; wir sind für das Leben an einander ge kettet." Bei diesen Worten legte sic ihre Hände auf Sa ra h's blondes Haupt und blickte mit feierlicher und ernster Miene zum Himmel empor. Indem sie sich diesem angenommenen Kinde weihte, fühlte sie recht gut, welche entsetzliche Verpflichtung sie aus sich genommen; denn sie mußte vielleicht diesem Kinde das Glück ihres ganzen Lebens, den Umgang mit Olivier, zum Opfer bringen. „Versprichst Du mir wenigstens," fuhr sie fort, „daß Du selbst, wenn ich Alles, was in meinen Kräf ten steht, für Dein Glück gethan haben werde und nicht so glücklich sein sollte, diese Wunde Deines Herzens zu heilen, ebenfalls Alles aufbielen willst, um diesen Zweck zu erreichen? Soll ich es mit einem phantasti schen, trotzköpfigen Kinde, oder aber mit einer kräftigen, mulhigcn Jungfrau zu thun haben?" „Zweifeln Sie an mir?" fragte Sarah. „Nein, ich zweifle nicht an Dir: Du bist eine Mowbray, Du mußt stillschweigend zu dulden wis sen .. . Jetzt, liebe Sarah, bringe Deinen Kopf putz in Ordnung, sei in Deiner Toilette so sorgfältig, in Deiner Haltung so ruhig, wie gewöhnlich. Wir wollen noch einige Tage warten, ehe wir über unsere Zukunft entscheiden. Schwöre mir, daß Du an keine Deiner Freundinnen schreiben willst, daß ick allein Deine Vertraute, Deine Ralhgebcrin sein soll, und daß Du Alles aufbietcn willst, meiner Liebe würdig zu sein." ' Weinend schwur Sarah, Alles zu thun, was ihre Tante verlangte; allein aller Anstrengung ungeachtet war ihr Kummer so sichtbar, daß Olivier ihn im ersten Augenblicke bemerkte. Er sah die Lady Mow bray an und fand in ihren Zügen dieselbe schmerzliche Aufregung. Die Wahrheit, die bisher nur dunkel durchgeschimmert hatte, stand jetzt in Hellem Lichte vor seiner Seele; die Gedanken, welche bisher nur selten und ruckweise sein Gehirn durchglüht hatten, durchzuck ten es auf's Neue mit Heftigkeit. Er entsetzte sich über das, was in und um ihm vorging, nahm seine Flinte und ging. Nachdem er ein Paar unschuldige Hasen geschossen hatte, kam er ruhiger zurück, fand die beiden Damen ebenfalls ruhiger, und der Abend ging angenehm vorüber. Wenn man sich einmal an ein Zusammenleben gewöhnt und sich gegenseitig so gut verstanden hat, daß alle Ideen, alle Privatinleiessen eine lange Zeit hindurch gemeinschaftlich gewesen sind, so ist es beinahe unmöglich, ein so süßes Band mit Einem Male wieder aufzulösen. So bestand auch sser jenes innige, angenehme Verhältnis an dessen Aufheren eigentlich keine der drei Personen schuld war, noch mne Zeit lang fort. Nichtsdestoweniger wurde die Wunde in ihrem Herzen von Tag zu Tage größer. Olivier konnte nicht mehr darüber in Zweifel sein, daß Sarrh ihn liebe; er hatte diese Idee stets von sich abgcwchrl, allein jetzt überzeugte ihn Alles davon, und jeder Blick von Metclla, welcher Art er auch immer sein mochty bestätigte ihn darin auf unwiderlegbare Weise. Olj- v i cr liebte seine Adoptiv-Mutter so aufrichtig, so zärt! lich, er hatte bei ihr eine so ruhige und wohlthuendk Art zu lieben kennen gelernt, daß er sich einer lebhaft tern Liebe für unfähig hielt! Er halte sich deßhalb durchaus nichts Gefährliches dabei gedacht, ein wahr haft himmlisches Geschöpf zm: Schwester zu haben' Je lebhafter seine Gefühle für Sarah wurden, best, mehr gelang es ihm, sich darüber zu beruhigen, inden er sich sagte, daß Metclla ihm immernoch so thcus wäre, und darin täuschte er sich auch nicht; nur trü