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370 versteinert dastand, in die Hand, zog ihn dann mit Gewalt zur Thüre hinaus und schloß sich ganz allein in die Hütte ein. Lange Zeit stand der Sohn da, ohne sich zu rühren; dann erholte er sich von seinem Stau nen und ging langsam um die Hütte herum. Als er unter das Fenster kam, stellte er sich auf die Zehen, um seine Mutter noch einmal zu sehen. Er fühlte, wie ihm der Muth sank, als er dieses vor Alter abge welkte, mit tiefen Falten durchfurchte Gesicht erblickte — Falten, die der 16 Jahre hindurch heimlich erdul dete Kummer eingegraben hatte. Die Unglückliche saß in einem Winkel, den der Mond nur spärlich erhellte, und glich einem dem Grabe entflohenen Gespenst. „Muth, mein Sohn! cs ist heute der Todestag Deines Vaters!" rief sie ihm zu, als sie ihn gewahr wurde. Er ging nun fort, warf aber von Zeit zu Zeit noch einen Blick nach dem Fenster, wo seine Mutter stand und ihm nachsahc, bis er ihr aus den Augen ver schwand. Als er sich alkein sähe, fühlte er, wie der Sturm, der in seinem Innern tobte, immer mehr zunahm; seine erhitzte Einbildungskraft ließ ihn seinen Vater sehen, angegriffen, verwundet und grausam gemordet, dann den Mörder, als Opfer der Rache und in einer Pfütze Blut schwimmend. Dann hielt wiederum die Furcht, sein Seelenheil zu gefährden, wenn er ein Ver brechen beginge, das die Obrigkeit bestrafen müßte, seine Schritte auf und machte ihn in seinem Vorsatze wankend. Er ging auf die Hütte eines Kohlenbrenners los; beim Anblick der röthlichen Flamme, welche die Felsen ringsherum rüthcte, ergriff ihn ein seltsamer Schauer: er glaubte das höllische Feuer zu sehen, und seine Seele hatte gleichsam einen Vorgeschmack der ewigen Strafen. Der Kohlenbrenner sang ein wildes, lustiges Lied, aber ihm kam cs wie das kläglichste Aech- zcn vor. Er gelangte mit Mühe, ein Paar Schritte davon, auf einen Felsen, warf sein Gewehr hin, stützte den Kopf auf den Arm und wurde, nach langen Stun den einer traurigen Nacht, durch einen kurzen, mehr mals unterbrochenen Schlaf erquickt. Bei den ersten Strahlen der Morgenröthe war er auf den Beinen, nahm das alte Kleid und die Büchse und wollte das Gebirge besteigen. Als er einige hundert Schritte ge gangen war, ging er wieder zurück, um den Kohlen brenner noch einmal zu sehen; dieser stand vor seinem Ofen und sang wieder sein wildes Lied. Die große Seelenruhe dieses braven Bergbewohners machte auf seine gcängstigte Seele einen so lebhaften Eindruck, daß er sich von Neuem mit hastigen Schritten auf den Weg machte. Als er an eine Stelle kam, wo zwei Fußsteige sich kreuzten, setze er sich hinter einen Baumstumpf; hier, voller Rachegedanken, deren Heftigkeit in dem Verhält nisse wuchs, als die ausgehende Sonne die Schatten der Nacht zerstreute, hier dachte er an seine Mutter, in welcher schrecklichen Erwartung sie schwebe, welche Wuth sie beseelt habe, während sie ihm die gräßliche Mittheilung machte; dann nahm er das alte Kleid in die Höhe', und die Flecken darin schienen wieder frisch zu werden und in den Strahlen der Sonne zu rauchen: jetzt trat der Gedanke an den Tod seines Vaters leb hafter und fürchterlicher vor seine Seele, seine Wuth stieg auf's Höchste und drückte jedes andere Gefühl nieder; endlich ergriff er sein Gewehr, lud cs schnell und nahm wieder seine erste Stellung ein. Ba d da rauf verkündete ihm das eintönige Klingeln einer Schelle, daß irgend ein Wanderer im Anzuge sei. (Beschluß folgt.) Sternschnuppe. In einer sternenhellen Nacht Saß ich bei Dir alltin; Wir schauten zu der Stcrnenpracht BlS zu dem Himmel hinein. Und wenn Du einen kleinen Stern Recht innig angesehn, Da funkelt' er, als wollt' er gern Zu Dir hernieder gehn. O wie so selig mocht' ibm sein, So lang' beschaust Du ihn. Und immer h.ller ward sein Schein Von seines Herzens Glüh'n. Doch endlich könnt' er bleiben nicht Am fernen Himmelszelt, Er flog herab im Hellen Licht Zur dunkeln Erdenwclt, Und schnell zu Dir — im Hellen Flug Küßt er Dein schön Gesicht; Er stirbt, er hat gelebt genug, Es reut der Tpd, ihn nickt. Druck von C. P. Melzer in Leipzig.