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369 gefleckten Kleider aus und verbarg sie in den abgele gensten Winkel ihrer Hütte; sodann hüllte sie ihr Un glück in das tiefste Geheimniß und hütete sich, irgend eine Klage gegen den Mörder laut werden zu lassen. Dieser fühlte nicht die mindeste Unruhe, und da er, nach der ersten Angst, die als Strafe dem Verbrechen auf dem Fuße folgt, sähe, daß er ruhig und ungestraft blieb, so beschwichtigte er auch bald sein Gewissen und lebte ruhig fort . . . Die arme Wittwe wurde von einer heimlichen Wuth gepeinigt, aber sie verschloß die Qual, die an ihrem Herzen nagte, in ihrem Busen und erzog mit der größ ten Sorgfalt ihren einzigen Sohn, der bald eine für sein Alter ungewöhnliche Kraft entwickelte. Unaufhör lich war sie darauf bedacht, die Stärke, den Muth und die Gewandtheit des Knaben zu üben. Die Jagd war diejenige Beschäftigung, der er sich, nach ihrem Wunsche, am meisten widmen mußte; sie war jederzeit um so mehr mit ihm zufrieden, lobte ihn stets um so mehr, je tiefer und blutiger die Wunden an dem Rothwjld waren, das er nach Hause brachte. In einem Alter von 14 Jahren hatte er — dieß war allgemein bekannt — nicht nur eine bedeutende Anzahl Füchse, Dachse und Gemsen geschossen, sondern sich auch auf Wolfs lind Bärenjagden ehrenvoll ausgezeichnet; bei Raufe reien endlich hatte er sich den Beinamen „Handfest" erworben, und wenn er zum Schiedsrichter erwählt wurde, hatte man vor seinen, oft sehr schnellen und gerechten Entscheidungen einen großen Respekt, weil sie gewöhnlich durch zwei kräftige Fäuste, einen Knotenstock von Stechpalme, und bisweilen durch einen Dolch, den er stets bei sich führte, den gehörigen Nachdruck er hielten. Jetzt endlich war, nach der Meinung seiner Mutter, der Augenblick erschienen, auf welchem, seit 16 Jahren, ihre Wünsche und Hoffnungen gerichtet gewesen waren. Eines Abends traf sie ihren Sohn im Walde; sie nahm ihn bei der Hand, zeigte ihm den Schein der untcrgchcnden Sonne und sagte: „Sieh diesen rochen, blutigen Schein; heute vor 16 Jahren war er gerade so roth und blutig; heute ist der Jahrestag eines scheußlichen Verbrechens; der Augenblick ist da, Dir ein großes Geheimniß mitzuiheilen." Bei diesen Worten, die in einem traurigen und zugleich feierlichen Tone gesprochen wurden, schauderte der junge Mensch zusam men; sie kehrten zurück nach ihrer dunkeln Hütte, und die Mutter verschloß sorgfältig die Thür. Der Mond schien durch das Fenster und zerstreute ein wenig die Finsterniß, die in der armseligen Hütte herrschte. Jetzt legte sie ihre Hand auf einen Koffer und sagte zu ihrem Sohne mit einem Ausdrucke teuflischer Wuth: „Hier, hier liegt unser Familienschatz! Mit Schmer zen habe ich gewartet, bis Du vom Kinde zum Jüng linge gereist wärest, um Dir dieses kostbare Kleinod anzuvertrauen, das Dir ein neues Leben geben soll; denn bis jetzt hast Du noch nicht die. Bestimmung Deines Lebens gekannt. Ich werde sehen, ob Dein Geist vom dem nämlichen Schlage ist, wie der Geist Deiner Aeltcrn ..." Sie schwieg und durchsuchte, wie wahnsinnig, den Koffer, während der junge Mensch, zwischen Staunen und Furcht schwebend, ängstlich auf den Ausgang dieser seltsamen Scene wartete. Endlich brachte sie ein Kleidungsstück heraus, gab es ihrem Sohne und sagte mit fürchterlicher Stimme zu ihm: „Hier!" — „Was soll ich damit machen?" fragte er und lief zugleich hastig nach dem Fenster hin. „Aber," fuhr er fort, „dieses Kleidungsstück ist ziem lich alt; was soll ich mit diesen Lappen anfangen?" „Betrachte nur die Flecken an der Seite genauer." „Was sehe ist? Das ist ja Blut, vertrocknetes Blut. Wem gehört dieses Kleid?" „Wem cs gehört! Dem Andenken Deines Ba kers!!" schrie die Frau, gleich einer Wahnsinnigen und umarmte dabei zugleich ihren Sohn. Vor Schreck über diese Mitlheilung wich er einen Schritt zurück und sähe, daß die Augen seiner Mutter wie zwei glühende Kohlen funkelten. „Ach! also ist cs doch wahr, was man mir oft im Dorfe zu verstehen gegeben hat. Mein Later ist ermordet worden!" „Das ist er, mein Sohn, und zwar durch die nie derträchtige Heimtücke Pietro's . . . Er kam, als Dein Vater krank, schwach und wehrlos war, und seit 16 Jahren spottet er über das Blut, das er vergossen hat. Aber in meinem Busen tobte höllische Rache; an diesem Busen hast Du das Leben gesaugt, und Dein Leben soll Rache sein. So muß es sein, oder ich will Dich nie wieder sehen. Du wirst über diese Thürschwclle schreiten, und dann wird diese Hütte Dir nicht eher wieder ein Obdach bieten, bevor Du nicht diese Flecken in dem Blute des Mörders Deines Va ters abgewaschen haben wirst." Bei den letzten Worten nahm sie eine alte Büchse, die ihrem Manne gehört hatte, gab sie dem Jünglinge, der noch immer über diese schreckliche Eröffnung wie