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317 wie man sagt, förmlich einen kleinen Hofstaat um sie herum bilden?" „Bemerkt," . . . sagte der Graf mit einem wie derholten ironischen Lächeln, „bemerkt . . . wie meinen Sie das?" „Mein Herr," erwicderte Olivicr lächelnd, „erzei gen Sie mir nicht mehr Ehre, als ich verdiene; ich meine das ungefähr so, wie ein bescheidener Schüler, der im Wettstreite nicht etwa den ersten Preis, sondern nur eine belobende Erwähnung zu erringen strebt. Außerdem . . . doch ich könnte vielleicht etwas Alber nes sagen. Wenn Sie nicht mehr trinken, so erlau ben Sie mir, daß ich diese letzte Flasche wegtragen lasse. Seit einer Viertelstunde habe ich blos in der Zerstreuung noch getrunken." „Trinken Sie immerhin," sagte der Graf, indem er Olivier's Glas füllte, „und lassen Sie mich nicht etwa glauben, daß Sie, sich mir zu offenbaren, Beden ken trügen." „Gut," entgegnete der Genfer und schlürfte be haglich sein sechstes Glas Rheinwein hinunter, „Sie wollen also meine Geheimnisse wissen, mein Herr Ita liener? Wohlan! von ganzem Herzen. Ich bin in Lady Mcwbray verliebt." „Gut, sehr gur!" sagte der Graf, indem er in einer Anwandlung theilnchmender Heiterkeit ihm die Hand reichte. „Wäre es wohl das erste Mal, daß ein Mann sich in eine Frau verliebt hätte, ohne sie gesehen zu haben?" „Nein, wahrhaftig nicht!" antwortete Buondel- monte. „Ich habe mehr als 30 Romane gelesen und mehr als 20 Theaterstücke gesehen, die so begannen, und glauben Sie mir, das Leben hat oft mehr Ähn lichkeit mit einem Roman, als ein Roman mit dem Leben. Aber sagen Sie mir, wenn ich bitten darf, unter allen Lobsprüchcn, die Sie der Lady Mowbray haben machen hören, welcher hat sie am meisten be geistert?" „Warten Sie," . .. sagte Olivicr, dessen Gedan ken bereits in einige Verwirrung geriehen. „Man führt von ihr viele beinahe wunderbare Züge an: in dessen sagt man doch, daß sie in ihrer frühesten Jugend einen etwas leichten Charakter gezeigt habe." „Wie sagen Sie?" fragte Buondclmonte trocken, ohne daß jedoch Olivicr darauf achtete. „Ja," fuhr er fort, „ich meine etwas kokett." „Das ist ja noch mehr, Sie Schmeichler!" sagte der Graf. „Nun . . . weiter?" „Nun, ihr Ruf in England bekam, entweder aus Unvorsichtigkeit von ihrer Seite, oder aus Eifersucht von Seiten der andern Damen, einige ziemlich bedenk liche Flecken, so daß in ihr der Wunsch rege wurde, dieses Land voll phlegmatischer Männer und steifer Frauen zu verlassen. So kam sie nach Italien, um hier ein freieres Leben und feinere Sitten aufzusuchen. Man sagt selbst" . . . „Was sagt man, mein Herr?" fragte der Graf mit einem ernsthaften Gesicht. „Man sagt," . . . fuhr Olivicr fort und sein Blick wurde schon etwas unsicher, „bah! sie hat es selbst in Air im Vertrauen gesagt, und zwar einer ih rer besten Freundinnen, die es allen Badegästen wieder erzählt hat." . . . „Aber was hat sie denn gesagt?" rief der Gras, indem er eine Frucht und dabei zugleich ein Stückchen seines Fingers durchschnitt. „Sie hat gesagt, bei ihrer Ankunft in Italien wäre sie gegen die Ungerechtigkeit der Menschen so erbittert gewesen und habe darüber, daß sie das Schlachtopfer ihrer Verläumdungen geworden, einen solchen Ingrimm verspürt, daß sie sich aufgelegt gefühlt hätte, die Gesetze des Vorurtheils in den Staub zu treten und ein eben so fröhliches Leben zu führen, wie die meisten vorneh men Personen in diesem Lande." Der Graf nahm seine Reisemütze und setzte sie ganz ernsthaft auf, ohne ein einziges Wort zu sprechen. Olivicr fuhr fort: „Allein das war vergeblich. Die edle Lady faßte diesen Entschluß, ohne ihr eigenes Herz zu kennen. Da sic noch nicht geliebt hatte und sich überhaupt für LiebeHncmpfänglich hielt, so stand sie im Begriff, gänz- lich^MxaphMU verzichten, als ein junger Mann sich sterblWsnsie verliebte und sie ohne Weiteres in einem Billct um ein Stelldichein ersuchte." „Hat man Ihnen den Namen des jungen ManneS genannt?" fragte Buondclmonte. „Auf Ehre! ich erinnere mich dessen nicht mehr. Es war ein Florentiner, und Sie müssen ihn kennen, denn er ist noch . . ." Der Graf unterbrach ihn, um der Frage auszu- weichcn: „Und was antwortete Lady Mowbray?" „Sic willigte in das Rendezvous, nahm sich jedoch vor, den jungen Menschen für seine Albernheit zu be strafen und ihn ganz lächerlich zu machen. Sie hatte zu diesem Zwecke, ich weiß nicht was für Leute zum