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307 „Ihr sehet wohl, Messire St. Michael," sagte Sa tan, „daß die Frau mir gehört. Sic hatte zehn Klei der von verschiedenen Farben und eben so viel Unter röcke. Ihr wisset auch sehr wohl, daß ein einziges dieser kostbar gestickten Kleider 20 oder 30 Arme, die vor Frost gestorben sind, hätte erhalten können." Bei diesen Worten häufte der Teufel alle schönen Gewänder der Dame in die Schale ihrer Unthaten auf. Michael seinerseits beschwerte die Schale der gu ten Handlungen mit einigen Mildlhätigkeiten, Fasten, Kasteiungen u. s. w., welche das Gleichgewicht wieder herstelltcn. Aber Satan holte nun ein ganzes Paket Ringe, Armbänder und Ohrgehänge, welche sie von ihren Anbetern erhalten, aus Gründen, die man nicht anzuführcn braucht. Die Schale der Unthaten neigte sich nun tief; Satan ergriff die Dame, ihre Kleider, ihren Schmuck, ihre Kleinodien und ihre ganze Bra- verie, warf sie mitsammen in den großen Höllcnschlund, unh^licß sie dort für alle Ewigkeit brennen. Diese Luruslicbe hatte alle Stände verdorben. „Die Zofen," sagt Landry, „setzten Rauchwcrk an die Kragen ihrer Gewänder, daß es ihnen bis auf den Rücken hinabhängt. Sie besetzten damit sogar ihre Absätze, auf die Gefahr hin, mit dem Rauchwerk im Koche zu waten. Dagegen entblößen sie ihre Brust, was ich weder im Sommer noch im Winter gut heißen kann. Sie würden besser thun, ihre Brust mit dem Rauch werk zu bedecken, das sie an ihren Füßen tragen." Die Unvollkommenheit der Verfeytigungsmittel, die Seltenheit der Manufakturen, unMoiechamals allge mein angenommene Idee, daß ein . reiches Gewand immer schön sei, trugen nicht wenig dazu bei, den Preis der Kleider über alle Maßen zu vermehren, in dem man dieselben mit Gold und Perlen überdeckte, allen Verordnungen zum Trotz. Ein einziges Kleid kostete.gewöhnlich 200 bis 300 Gulden. Man wußte seine Pracht noch nicht auf andere Weise zu beurkun den.- Die Künste wurden wenig kultivirt; Schauspiele waren unbekannt; Baukunst, Bildhauerei und Malerei waren in der Wiege. Die tausendfältigen Bequemlichkeiten und Zierlich keiten, welche man in unfern opulenten Wohnungen bemerkt, waren gänzlich unbekannt. Wir möchten jene großen, düstern Gefängnisse mit Eisengittern an den Fenstern, mit Stroh und Baumblättcrn auf dem Bo den, statt der Teppiche, nicht bewohnen, in denen die ''en Herren des vierzehnten Jahrhunderts auf ihre se lebten und sich vergnügten. Die zahlreiche Dienerschaft, welche jede ausgezeich nete Familie hielt, nährte sich mit den Erzeugnissen des Bodens, und kostete wenig oder nichts. Das Ver langen zu glänzen, sich zu zeigen, hatte also kein an deres Mittel, als Kleiderpracht. Ritter und Damen, Junker und Fräulein trugen zwar keine Hemden; da gegen bedeckten sie sich mit Seide, Goldstoff und Edel steinen. Mit diesem Prunk, der von läppischer Eitelkeit allein gut geheißen werden konnte, und an dem Hüter Geschmack nur wenig Anrheil nahm, vereinte sich'eine Gewohnheit der Galanterie im höchsten Grade gefähr lich für die Sitten. Mann und Frau zeigten sich sel ten mit einander. Man sah eine junge Dame ohne Beschützer sich in glänzende Gesellschaften mischen, in welchen nur unvcrheirathcte Junker und Ritter sich ein fanden, für die Verführung ein Gewerbe und eine Ehre war. Der Ruf selbst tugendhafter Frauen wurde auf solche Weise auf's Spiel gesetzt, und darf man Landry Glauben beimessen, war Keuschheit eine große Seltenheit. Während der Gatte im Kriege oder am Hofe des Königs sich befand, begab seine Gefährtin sich zu Tur nieren und Ringelstechcn, besuchte die benachbarten Ritter in ihren Schlössern, und gab selbst Feste und rchpige Schmausereien. Daher ein außerordentlicher Skeptizismus über weibliche Tugend, den man in allen Werken jener Zeit bemerkt, und den man als einen überzeugenden Beweis von der allgemeinen Sittenlosig- keit betrachten kann. Damals, wie unter Ludwig XIV. und Ludwig XV., machte Eifersucht einen Ehemann im höchsten Grade lächerlich, und der Ruf einer spröden Frau (so nannte man die tugendhafte) konnte durch die Eitelkeit und Großsprecherei eines Taugenichts vernichtet werden. Oft, nach einem lärmenden Feste, wurden alle Lichter aus gelöscht, „und der Himmel weiß," sagt seufzend Ritter Landry, „was alsdann geschah. Nehmet Euch in Acht, liebe Töchter," fügt er hinzu, „nicht Veranlassung zu bösem Leumund zu geben. In solchen kritischen Augen blicken haltet Euch immer in der Nähe eines Verwand ten oder einer Dame. Denn die Lügner, welche Pa rade mit Gunstbezeugungen machen, die Ihr ihnen nie zugestanden, wimmeln in Frankreich, und die Frauen betragen sich auf eine solche Weise, daß man leicht alles Böse glauben kann, was ihnen nachgesagt wird." Die Sittenlosigkeit war nicht weniger groß in England, Italien und Deutschland, als in Frankreich.