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267 Erhebung soll cr ihnen geben?" Das wurde seines Werkes Zweck. Landry, der jung und ein Taugenichts gewesen, wie alle jungen Ritter seiner Zeit, erinnerte sich noch reckt gut der bösen Streiche, welche cr verübt: wie er auf seinem Streilroß ganz Poiton durchzogen, in Ge sellschaft einiger eben so abenteuerlicher, ungesitteter Jünglinge, wie cr allen Schönen den Hof machend, die Männer hintcrgchend, die Fräulein entführend, um sie bald nachher sitzen zu lassen, und uni die Resultate aller dieser schönen Unternehmungen sich wenig oder gar nicht bekümmernd. „Gleichviel," sagt er, „ob man das Geschenk des Liebedankcs uns zugestand oder.nicht, wir verbreiteten nichts desto weniger das Gerücht unserer wahren oder erdichteten Triumphe; denn wir hatten weder Scham noch Furcht, und so entehrten wir alle hübschen Frauen und Mädchen, indem wir ihnen ohne Erbarmen so viel Böses nachsagten, als wir konnten, woraus eine Menge Skandale und üble Händel entstanden." Was hält man von diesem Pröbchen ritterlicher Galanterie? Im reisen Alter (d. h. circa in den Fünfzigen) ge dachte Gottfried Landry de la Tour mit Bedauern der Abscheulichkeiten seiner Jugend. Er fürchtete für seine mannbaren Töchter den Einfluß der allgemeinen Sit- tenlosigkeit. Um, so viel in seinen Kräften stand, die sen Einfluß zu vermindern, beschloß er, eine Art Ab handlung über den moralischen Zustand seiner Zeit zu verfassen, und seine Mädchen vor den Anlockungen der Verführung und den speziellen Lastern der Epoche, in der sie lebten, zu warnen. Ritter Landry hatte in seinem „Burgstall" zwei Priester und zwei Kapellane, die lesen und sogar schrei ben konnten, folglich grundgelehrte Männer waren. Er gab ihnen den Auftrag, die Handschriften in seinen Archiven zu durchblättern, und aus denselben die nütz lichen Beispiele, Anekdoten, Lehren u. s. w. auszu- ziehcn, aus denen er sein Buch zusammenflicken wollte, das er in Prosa schrieb, wahrscheinlich weil er in der Neimkunst nicht besonders bewandert war. Das ist das Werk, aus welchem wir uns bemühen wollen, die Sitten der Frauen des vierzehnten Jahr hunderts und ihre gesellschaftliche Lage so viel als mög lich kennen zu lernen. Den Nitterrvmanen und den allgemein angenomme nen Ideen über jene Zeit zufolge, wäre damals das schwä chere Geschlecht mit der tiefsten Ehrfurcht und Huldigung umringt gewesen. Als Gebieterinnen und Beschützerinnen der Minnesänger halten sie selbst der Dichtkunst und Musik sich gewidmet, und wären nicht allein die Urheberinnen lieblicher oder erhabener Gesänge, sondern auch großer Thaten gewesen. Sie hatten damals einen bei weitem höhern Rang auf der gesellschaftlichen, moralischen und politischen Leiter eingenommen, als jetzt Unter welchen traurigen, diesen politischen Fiktionen durchaus entgegengesetzten Zügen erblicken wir dagegen die Frauen und Mädchen jener Zeit in dem Buche Landry's de la Tour! Die meisten seiner Zeitgenossen konnten weder lesen noch schreiben, wie er selbst be richtet. Nichts war seltener, als ein edles Fräulein, das diese Talente besaß. Landry seinerseits will wohl, daß die Weiber lesen lernen; aber er findet es für eben so unzweckmäßig als gefährlich, sie auch in der Schreib kunst zu unterrichten, „indem sie dadurch nur zur An knüpfung verliebter Jntrigucn angefeucrt werden," sagt er. Dagegen will er, daß die Frauen in der Koch kunst Meisterinnen seien, um gute Gerichte bereiten zu können; auch sollen sie einige Begriffe von der Wund arzneikunst haben, um den in Fehden Verwundeten ihre Hülfe angedeihcn zu lassen. Aus seiner Darstellung bemerkt man, daß ein Mäd chen von hoher Geburt nie in ihres Vaters Burg er zogen wurde. Man übergab es der Acbtissin eines Klosters, oder der Dame irgend eines großen Herrn, ge wöhnlich von höherem Range, als des Fräuleins Leitern. Nicht nur war damals der Pedantismus der Fr^en gänzlich unbekannt, unserm Gewährsmann zufolge Mk gcrte sich auch mehr als ein Ritter, eine reiche, schöne Erbin zu heirathen, aus dem einzigen Grunde, weil sie — lesen konnte. „Die Bücher," sagt er, „deren man sich zu ihrem Unterricht bedient, enthalten nichts als verliebte Streiche und Lehren, oder cs sind sittenlose Romane, schmutzige Fabeln und andere Geschichten, in denen nur von wollüstigen, schlüpfrigen Dingen und Welteitclkeiten die Rede ist." Ritter Landry verbot seinen Töchtern nicht allein, je solche Bücher zu lesen, er dehnte seine Strenge auch viel weiter aus, und gab ihnen folgende erbauliche Lehren: „Fastet oft, meine Töchter. Ein voller Magen ist nie vollkommen demülhig und fromm. Höret so viele Messen, als Ihr immer könnt. So lange Ihr nicht verheirathet seid, rathe ich Euch, dreimal wöchentlich Fastenspeisen zu essen. Das ist ein Mittel, fleischliche Begierden zu bezähmen und keusch und rein zu bleiben