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überreden, wir hätten einen Mann Nachts zwei Uhr angefallcn, um ihn nur um eine Prise Taback zu bitten! . . ch. Der Ertrunkene. Vom Kapitän Casimir Corbicr. Wie oft hat man Ihnen schon Geschichten von einem Gehenkten, von drei oder vier Geköpften, von zwanzig Scheintodten erzählt, die alle ganz expreß aus der an dern Welt wiederkehrten, um ihre Memoiren herauszu- gcben. — Ich will Ihnen jetzt die Geschichte eines Ertrunkenen erzählen; und' dieser Ertrunkene ist Ihr gehorsamer Diener. Vor einigen Jahren lag ich in einer kleinen Stadt der Dauphinö in Garnison. Ich war in Saint-Cyr erzogen und hatte den Kopf voll romantischer Ideen. Byron war damals stark in der Mode durch sein Le ben, seinen Tod und seine Schriften, die alle Welt sich rühmte zu verstehen; ich lebte ganz für ihn. Et was, was mich am meisten verführte und was ich be neidete, war sein Schwimmcrlalent, worauf er auch mit gutem Rechte so stolz war. Er erschien mir in meinen Träumen; sein eifersüchtiger Schatten beunru higte meinen Schlaf. Um diese ermüdende Nacheiferung los zu werden, ward ich völlig zur Amphibie, wo nicht gar zu Wasser. Ich wollte mich mit dem Riesen messen und ihn be siegen. — Aber beinahe wäre ich ertrunken. — Sie werden sogleich hören, wie sich die Sache begab. Die größte Wasserfläche, welche Frankreichs Grenzen einschließen, ist der See von Paladru; er ist, glaub' ich, drei Stunden lang und zwei breit. Der Sage der in seiner Nähe wohnenden Leute nach bedeckt er entsetzliche Geheimnisse früherer Jahrhunderte. Eine ganz reiche und blühende Stadt soll auf dem Grunde seiner Gewässer schlummern, und bei ruhigem Wasser wollen die Fischer ganz deutlich die Glockenthürme und Walle der verzauberten Stadt erblicken. Nach einem guten Abendessen reisten wir, der Kapi tän Forbin, ein junger Souslieutenant und ich zu sammen ab. Meine beiden Begleiter führten Jagd flinten bei sich; denn es handelte sich darum, die Par tie andern Tages durch den Mord einiger Hasen zu beschließen. ... - . -O Es war Mitternacht, als ich mich in das ruhige laue Wasser des Scc's warf und lustig untertauchte. Anfangs machte ich meinen Gefährten, deren keiner schwimmen konnte, und die sich klüglich in der Nähe des festen Landes hielten, Kunststücke aller Art vor. Doch endlich dieser nautischen Evolutionen müde, streckte ich mich gemächlich auf den Rücken und begann das Wonnige meiner Lage so reckt zu genießen. Die Lust war mild und unbewegt, der Himmel wundervoll klar; zahllose Sterne, deren Funkeln kein Wölkchen trübte, leuchteten von dem tiefdunkelblauen Gewölbe. Ich glaube nicht, daß cs ein prächtigeres Schau spiel auf der Welt giebt; viele Male habe ich cs in meinem Leben betrachtet und bin stets der Uebcrzeu- gung, daß keine Natursccne etwas Glänzenderes darbie- tel, tiefere Bewegungen hervorbringt, mächtigere und von den niederen Erdcnbanden befreitere Empfindungen erweckt. Um uns keine Grenzen! — Ihr hebt die Arme, — keine Fesseln; Ihr bewegt Euch vor - oder rück wärts, — nichts was Euch an Maß und Raum er innerte. Ihr habt ein Element besiegt; ihr lebt ein andres Leben, Ihr habt Euch eine neue Welt geschaf fen. — Uebcr Euch Abgrund, unter Euch Abgrund; — erhebt die Augen: das ist der Himmel; bleibt un beweglich: das ist das Grab. Mühelos schwebend auf dem lauen, kosenden Ge wässer; wollüstig gewiegt zwischen Himmel und Erde; ohne alle jene materiellen Berührungen, die dem be trachtenden Menschen so fürchterlich störend sind; von allen gröberen Sinnen unserer Natur blos den Blick und den Gedanken beizubehalten; entfernt von jedem Lärm, nichts zu hören als das dumpfe Brausen der Welle, die mir in's Ohr murmelt, daß ich über einem 200 Fuß tiefen Abgrunde schwebe, die mir das Gefühl bekämpfter und besiegter Gefahr zuflüstert, die mir sagt, daß zwischen der Wonne des Lebens und dem Grau sen des Todes nur eine Minute, eine Sekunde, ein Augenblick liegt! — — Mein Gott! wie erschien mir das gewöhnliche Le ben, jenes Leben voll kleinlichen Ehrgeizes und fader Liebeshändel, närrisch und trostlos! Mein Gott! wel ches lange und reine Leben zauberte ich mir demals in der Zukunft! —" Und dann, welche Phantome der Vergangenheit schwanden meinen Augen vorüber in de' °-'n, lauen Frieden der Luft! — Köstlich hinrei^. 'lendende, schlanke Frauengestalten, wie ich sie in den Spitzbogengewölben der Kathedrale erblickte;