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256 Häusliches Glück. Nach Paul de Kock. nender Kinder. „Holla!" ruft mein Begleiter, „meine kleinen Schelme haben Hunger, Sie erwarten mich mit Ungeduld." — Ich aber sprach zu mir selbst: „wenn die kleinen Schelme während der ganzen Mahlzeit solchen Spektakel machen, so kann das sehr hübsch werden." Wir schellten; — eine lange, hagere, gelbliche Frau öffnete die Thüre — und als sie mich erblickte, schien sie ganz überrascht zu sein. „Meine Thcure," sagte mein Einführcr zu ihr, „hier bringe ich Dir Herrn N., von dem ich Dir schon öfters erzählte; er wird bei uns essen, Du darfst aber gar keine Umstande machen." Die an sich schon lange Gestalt der Dame verlan- ' gerte sich bei der Rede ihres Gatten noch viel mehr, und mir machte sie eine Verbeugung, die so ziemlich einer Grimasse ähnlich sah. — Es kann nichts Unan genehmeres geben, als zu sehen, daß man Leute, zu denen man ganz unfreiwillig kommt, genirt. Lieber wäre ich hundert Meilen weit weg gewesen, aber mein unbekannter Freund drängt mich in ein Nebengemach, damit ich gelegentlich die Bequemlichkeit seines Logis „Sie muffen eine Suppe bei mir essen," so sagte mehrmals ein Herr zu mir, den ich übrigens kaum kannte, und mit dem ich in nähere Verbindung zu treten gar nicht einmal willens war. „Sie müssen meine Familie, meine Frau, meine Kinder sehen. Ohne alle Umstände; Sie kommen zu uns, nehmen mit einer Hausmannskost vorlieb und machen uns damit das größte Vergnügen." — Eigentlich darf man nur einem ganz intimen Freunde die Freuden einer Hausmannskost anzubieten wagen; aber die wahren Freunde sind so selten, und gute Mit- tagstische etwas so Gewöhnliches, daß es wirklich sehr angenehm sein mag, jenes häusliche Glück zu theilen, überhaupt wenn man gewiß ist, nur von Leuten, die cs gut meinen, von wahren Freunden umgeben zu sein, die uns nur um des Vergnügens willen, uns bei sich zu haben, einladen; denn nur zu oft pflegen sich bei dergleichen Änladungen ganz andere Interessen bewundern und das Knurren seiner Frau nicht hö- einzuschleichen. ren soll. Bei einem Univcrsitätsfrcunde, welchen Glücksum- Mit vieler Mühe trete ich in ein Zimmer, worin stände nicht etwa zu unscrm Feinde gemacht haben, oder der über unser eigenes Glück nicht neidisch ist; an der Seite einer jungen Hausfrau, die liebenswürdig ohne Anmaßung, schön ohne Coquetterie ist, mag der einfachste Mittagstisch ein warhastes Glück sein. — Glücklich war ich den Einladungen jenes unbekann ten Freundes immer entwischt, als er mir gestern Abend gegen fünf Uhr begegnete. Er läuft auf mich zu, faßt mich beim Arme, hält mich auf: „Wo wollen Sie hin?" rief er aus. — „Zu Tische," antwortete ich, ohne mir etwas dabei zu denken. — „Zu Tische? Ah! dicßmal habe ich Sie, Sie kommen mit zu mir." Umsonst versuche ich eine bereits zugcsagte Einla dung vorzuschützen; mein Mann läßt mich nicht los. Längerer Widerstand würde lächerlich und unartig ge wesen sein. Ich gebe nach, ich entschließe mich endlich und denke bei mir: vielleicht giebt cs doch eine ange nehme Ueberraschung; der Herr ist zwar ein Schwätzer, aber seine Frau kann deßhalb liebenswürdig sein, er kann wohlerzogene Kinder haben und eine gute Küche führen. — Wir langten bei meinem Amphitryon an und stie gen bis in die dritte Etage. Schon vor der Zimmer thür höre ich das Geschrei mchrer sich prügelnder, wei- die beiden kleinen Schelme alles drüber und drunter geworfen haben. Der Fußboden ist mit Spielzeug, Papicrschnitzel, Bilderbogen, kleinen hölzernen Haus und blechernen Küchengeräthcn bedeckt; kein Stuhl ist frei. — „Welch' Glück, Familienvater zu sein!" dccla- mirtc mein Mann, indem er vergeblich einen Sessel für mich zu erlangen suchte. — „Ja, ja," antwortete ich, „nach dem, was ich hier sehe, mag es ganz ange nehm sein." — „Holla, Alcidor — Achill — kommt her, Burschen!" — „Was sollen wir denn, Papa?" — „Hierher kommen, sage ich Euch!" — Die kleinen Jungen kamen aber nicht. Der Papa nimmt sie bei den Ohren und sagt zu mir: „Ach, sie sind gewöhnlich sehr folgsam. Nun, Achill, hast Du Deine Lcction brav gelernt? Laß doch einmal Deine Fabel hören." Ter kleine Kerl stotterte grinsend: „Eine Ameise sang einen ganzen Sommer hindurch — und hielt in ihrem Schnabel einen Käse." „Recht gut," sagte der Papa. „Jetzt, Alcidor, ist die Reihe an Dir, — das ist ein wahrer Eulenspiegel! — sag' wein Schelm- chcn, welches ist das erste Wunder der Welt?" — „Das ist eine Pastete," antwortete der Kleine mit ent schlossener Miene. — „Nicht wahr, diese Antwort