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200 wurde, das ihn seit langer Zeit geplagt. Wovon kein Arzt ihn zu befreien im Slande gewesen, davon ver wischte der chinesische Bambusstock Alles, bis auf die letzte Spur. Er rühmte sich dieses Heilmittels nicht, und begnügte sich, nach seiner Rückkehr zu sagen, daß er seine Genesung einem „chinesischen Mittel" verdanke, das er jedoch, wie man sich leicht denken kann, ge heim hielt. Quang - tam machte ein Frcudenfeuer mit den be schmutzten oder zerrissenen Stoffen, und Haopi kehrte mit seinem Bruder Dang in die Provinz Fokian zurück. Lang und zärtlich waren der Familie Unterhaltungen, als der Reisende seinen Aeltcrn und Geschwistern die Wunder der barbarischen Lander erzählte; groß war auch die Freude des Theetrockncrs Gowo, als Haopi sich feierlich um die Hand einer seiner Töchter bewarb. Der Greis des Mondes (solches ist der sonderbare Name, und die befremdende Rolle, welche die Chinesen dem poetischen Amor leihen) hatte dem Silberfaden, der diese beiden Herzen zusammenknüpste, nicht erlaubt, während der Abwesenheit zu zerreißen, und die Blü- thcn des Psirsichbaumes bedeckten den Boden, als die doppelte Vermählung der jungen Tochter Leu-tse-pi's mit ihrem Verlobten, und die der Tochter Gowo's mit Haopi, nach dem altherkömmlichen Gebrauch des Rei ches der Mitte, vollzogen wurde. Die Tochter der Serpe. Von Arnould Frcmy. Als ich die Küste der „beiden Liebenden" besuchte, erzählte mir eine alte gute Bäuerin folgende Geschichte. „Sehen Sie w<chl," begann sie, „hinter jenen halb abgestorbenen Weiden, welche die Fabrik umgaben, den kleinen Bach, der mitten über die Wiese läuft und hier für eine Quelle gehalten werden könnte? Es ist aber eigentlich weder ein Bach noch eine Quelle, sondern ein hübscher, ansehnlicher Fluß, welcher die Serpe heißt und zwei Stunden weiter hin so groß ist, daß Blcich- anstaltcn, Färbereien und Seidenfabriken daran errich tet sind. Die Fabrik hier benutzte ihn in ihren guten Zeilen ebenfalls, denn das Wasser desselben fließt rasch, hat einen guten Geschmack und treibt Walkmühlen. Aber in dem Augenblicke, wo die Serpe die Fabrik passirt, ist sic das launenhafteste Ding, welches man sehen kann; mitunter schwillt sie an, übcrströmt sogar ihre Ufer und scheint von nichts in ihrem Flußbett er halten werden zu können, dann aber fließt sie wieder langsam und ruhig, trocknet fast ganz aus und er scheint nicht anders als ein Silbcrfadcn." „Die Bewohner der Gegend knüpfen sonderbare Ideen an den Lauf der Serpe und behaupten, daß zwischen dem Flusse und dem schönsten Mädchen des Landes eine Art von Sympathie bestehe. Wenn das Mädchen anständig, arbeitsam und still ist, so fließt die Serpe ruhig und nichts stört ihren Lauf, ist aber das Mädchen das Gegentheil davon und sind nach theilige Gerüchte über sie im Umlauf, so macht cs die Serpe wie sie, sie trübt sich, wird unruhig und ergießt sich über ihre Ufer." „Die Fabrik, welche noch vor kurzer Zeit in großem Flor war, hängt also nicht blos von dem Flusse, der ihre Maschinen in Bewegung setzt, sondern auch von den schönen Augen eines jungen Mädchens ab, das oft nichts als eine Wollkrämplcrin, eine Tuchglätterin und vielleicht die schlechteste von allen Arbeiterinnen ist. Dieß mag auch wohl zu dem in hiesiger Gegend ge bräuchlichen Sprüchworte: „Beleidigt die Serpe nicht, oder eure Frau wird sie rächen," Veranlassung gegeben haben, welches man beständig den Liebenden und den Neuvermählten zurust." „Ganz nahe am Flusse werden Sie auch jenes schöne Gebäude bemerken,' welches man ein Schloß nennen könnte. Es ist die Fabrik von Pont-Abbö, welche zu der Zeit, wo sic unter der Leitung des Herrn Eoutard stand, so blühend war. Dieser galt für den ersten Fabrikanten des Landes. Er hatte sich durch seine Gercchligkeilsliebe und Hcrzensgüte bei allen sei nen Arbeitern beliebt zu machen gewußt und da er anfangs selbst nichts als ein gemeiner Arbeiter gewesen war, so kannte er besser, als mancher Andre, die Mit tel, sich ergebene und fleißige Leute zu verschaffen und zu erhalten." „Unter den Noppcrinnen der Fabrik von Pont-Abbö befand sich eine, Namens Marceline Gardin. Die jungen Leute hatten ihr nach der Sitte der Gegend den Beinamen Tochter der Serpe gegeben, was so viel heißt, als die Serpe hat Marccline zu ihrem Kinde gewählt, da sie im ganzen Lande die schönsten Augen, den schönsten Teint, die schönsten Gcsichtszügc und die schönste Gestalt hatte. Ihre Mütze von feinenDpitzen, die sie so hübsch aufzusetzen verstand, ließ ihre schönen schwarzen Haare durchsetzen. Ihr Mund war eine