Volltext Seite (XML)
167 gewöhnlich ein großes Gastmahl Statt. Oft bin ich in der Straße stehen geblieben, vor einem zu solcher Mahlzeit vorgerichteten Saale, um die dabei üblichen Gebrauche zu beobachten. Die Wohnung eines gast freundlichen, reichen Mannes ist nicht, wie im himm lischen Reiche, immer dieselbe. Ihr Anblick ver ändert sich je nach den Jahreszeiten, selbst nach den Stunden des Tages. Denn die Barbaren sind die unbeständigsten aller Menschen." „Am Morgen bemerkt man nur die Hauscigcnthü- mcr. Einige junge Mädchen zeigen sich durch den glänzenden Krystall der Fensterscheiben. Sie nehmen die Purpurvorhänge ab und wischen sorgsam den Staub hinweg, der am vergangnen Tage sich gesammelt. Auf den Marmorstufen stehen einige Männer, die man be zahlt, um das Haus zu bewachen, und von dem, was außerhalb vorgeht, die von der Ermüdung des Festes am letzten Abende noch schlummernden Reichen zu unterrichten. Um jedes Haus sind starke Eisengittcr. Die Bröd- und Milchverkäufer verweilen vor demselben. Unter dem Hause, in einem Keller, befindet sich eine Frau, welche mit dem Ankauf dieser Gegenstände be auftragt ist." „Um die Zeit, von der ich spreche, vernimmt man nur das Geschrei der Handelsleute und der Märkte Geräusch. Denn das Meiste wird in den Straßen oder vor den Kaufladen feilgeboten. Wagen rasseln in allen Richtungen durch die Stadt. Sie sind mit allen Arten Lebensmitteln oder anderen nützlichen Gegen ständen beladen." „In dem Maße, als die Zeit vergeht, als es später wird, verwandelt sich Alles. Am Abend zündet man zwischen den Gebäuden, die lange schmale Gänge bil den, nach und nach Laternen an, die ein gelbliches Licht verbreiten, den Lampen auf der Vorderseite unse rer Barken ähnlich." „Bei diesem Zeichen überlassen sich die Barbaren der Freude. Alles gewinnt ein festliches Ansehen. Von allen Seiten verschlossene, mit verschiedenen Farben be malte Kutschen durchjagen die Stadt in die Kreuz und Quer. Männer und Frauen kommen zusammen, grup- piren sich, spazieren auf und nieder, um der Schönheit, dem Reichthum oder der Macht zu huldigen. Die jungen Mädchen, die der Tanz anlockt, verlassen ihre Wagen, und setzen, von ihren Sklaven unterstützt, den Fuß auf den sammetnen Teppich, der die Stufen be deckt. Die ungeheure Menge Lichter, welche den Saal erhellen, wird durch den Krystall, der ihn überall schmückt, noch außerordentlich vervielfältigt. Stimmen und lustige Instrumente erschallen. Man läßt Elend und Schmerz den Unglücklichen, die mit den Füßen im Schnee, die Stirn dem Regen preisgegeben, zitternd und bebend am Eingänge dieser prachtvollen Paläste sich einsinden." „Sind die Töchter dieser Barbaren mit Schönheit begabt?" fragte Quang-tam, dessen Blick leicht gegen das Lusthäuschen hinüberflog, wo die Mädchen waren, die aufmerksam auf des Reisenden Rede lauschten. „Sie sind weit entfernt in dieser Beziehung," rief Pang, der des reichen Kaufmanns Blick bemerkt, „sic sind weit entfernt von der Schönheit, welche die glück lichen Bewohnerinnen des Reiches der Milte charakte risier. Ihre Augenbrauen neigen und krümmen sich nicht gegen die Nase, wie die jungen Wcidcnblätter im Frechlinge. Ich habe selten bei ihnen diese kleinen Au gen gefunden, deren schräger Funken dem des Glüh wurms untcr'm Grase ähnlich ist, noch die fetten, rosi gen Wangen, die durch ihre Rundung und ihren Glanz der Pfirsichkugel gleichkommen, noch weniger diese klei nen, zarten Füßchen, deren Form die Kunst zu ver mindern versteht." „Ich entnehme daraus," unterbrach ihn der Kauf mann, „daß in diesem Lande die Weiber sehr häß lich sind!" „Die Krone ihres Haares ist blond, schwebend, seidenartig und schön anzuschaucn," fuhr der Jüngling fort. „Die Perlen und das Gold, welche sie darin verflechten, glänzen oft wie des Mondes Strahlen auf dem Kanal. Aber ihre Gesichter sind blaß. Ihre Au gen und ihre Augenbrauen sind gerade. Die meisten kennen das große Geheimniß der Schönheit nicht, das Gesicht mit Carmin und Bethel zu bemalen." „Ihre großen Augäpfel, die sich zu denen der chi nesischen Mädchen verhalten, wie der Morgenstern zum Glühwurm, drücken sanfte, wohlwollende Gedanken aus. Aber ihre Kleidung ist weniger reich, als die unserer Frauen. Ihre Haare sind nicht in einzelne, zierliche Zöpfe geflochten. Ihre Füße vorzüglich sind sehr häß lich. Denn sie gehen wie die Männer, und die Schuhe, welche sie tragen, sind eben so breit, als die Ruder unserer Nachen. Aber wie könnte man auch anderswo, als in diesem göttlichen Reiche, der Schönheit höchste Vollkommenheit suchen?" Ein beifälliges Gemurmel drang aus dem rauchenden Lusthäuschcn bis zum Erzähler herüber. Quang-tam