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153 'dir M h-ll ch, H « O! M- !«t s so reich an Ruhm, so süß an Liebe! Sprich offen mit der Einfachheit, die ich von Dir erwartete. Kind, was fürchtest Du? Sei nicht schüchtern; Du sprichst mit einem Sterbenden. Komm zu mir, noch naher. Sich, wir haben nur einen Stuhl, und ich bin er schöpft. Laß mich Dich auf meine Knice setzen. Bleibe so!" Und indem er sprach, richtete Raimund auf Marie einen jener ungewissen Blicke, von denen das Herz eines Weibes mit Entzücken erfüllt wird. Er um schloß sie mit beiden Armen, als wollte er sie auf ewig an sich fesseln. Sein Kopf neigte sich herab auf die Brust Mariens, und der ihrige stützte sich an dem Raimund's. „Marie," sagte er mit leiser Stimme, als scheuete er sich, die Furcht des jungen Mädchens zu erwecken, „Du liebst mich also?" Sie erwiedcrte nichts, aber der Arm, der auf Rai mund's Schulter ruhcte, schlang sich um seinen Hals und drückte ihn sanft. „Sag' es mir," bat er, „ich bedarf Deines Ge ständnisses!" „Ach!" erwiedcrte sie schüchtern, „ich habe Sic stets geliebt. Anfangs wie man einen Bruder liebt, und dann — weit mehr. Vor zwei Jahren sprachen Sie von Hcirath; erwähnten meiner bei ihren Plänen — damals beschäftigten Sic sich mehr mit mir, als mit jeder Andern; da erkannte ich, was wahre Liebe sei, und fühlte, daß ich für einige Augenblicke, die Sie mir schenkten, Ihnen ein ganzes Leben geben möchte. Ach Raimund, es ist nicht Zeit zu Borwür fen, aber in meinem Herzen lebte zu viel wahre Zärt lichkeit, um ein Gefühl darin aufkommen zu lassen, das Sie nicht erwiedern konnten. Ich hieß meine Lei den schweigen, so lang ich Ihnen unnütz war, aber gestern — gestern war da — ich, Ihre Freundin frühe rer Tage, Ihrer Kindheit. Als die Menschen Ihnen Ihr Leben streitig machten, und Niemand Sie vcrthei- digte, wie hätte ich da unsere alte Freundschaft ver gessen können, die Sie einst so innig crwiedcrten? — Es war unmöglich!" „Du hast mir Alles gegeben — und ich kann Dir nichts zurückgebcn, als eine Liebe von wenigen Stun den, als die Dankbarkeit eines Sterbenden!" „Sprechen Sie nicht so; Sie werden leben, ich bin überzeugt davon. — Man sagt es — oder man wird Sie vielmehr retten." Zum ersten Male entsprang aus diesem Schmerze die Hingebung, die so lange unterdrückt war. Thrä- ncn benetzten das Gesicht des Mädchens, und schwei gend duldete sie Raimund's Küsse. Schritte ertönten, Bcrnard kam zu melden, daß die zwei Stunden ver flossen wären. „Noch einen Augenblick, einen Augenblick," sagte Raimund, „und Sie mögen sie zurückführen." Marie sagte nichts. „Eine halbe Viertelstunde noch," sagte Bernard, indem er ging. „Wirst Du wieder kommen, Marie?" fragte Raimund. Sie dachte nach. Dann, wie von einem plötzlichen Entschlüsse ergriffen, sagte sic: „Nein! verlangen Sie es nicht; man darf mich hier nicht wieder sehen." Raimund lachte bitter. „Ja, ich habe zu viel ver langt," rief er, „ich bin unbescheiden." Die Reizbarkeit kommt stets zum Unglücke, es zu vergrößern, aber Marie stellte sich, als bemerkte sie es nicht. „Sahen Sie barmherzige Schwestern," fragte sie. „Ja! Eine bringt das Frühstück in das Gcfängniß." „Allein?" „Ja." „Um welche Stunde?" „Um sechs Uhr." Sic warf sich in die Arme Raimund's. Noch ein Mal mischten ihre Thränen und ihre Seufzer sich in der glühendsten Aufregung. Bcrnard trat ein. „Herr Derveaux?" sagte er, „die Thüren werden geschlossen; Mademoiselle, Sie müssen sich entfernen." Es war dunkel geworden, Maria riß sich aus den Armen Raimund's, und verbarg in der Dunkelheit des Ganges ihr Gesicht vor dem Lichte, das aus der Lampe des Gefangenwärtcrs auf sie siel. Am folgenden Tage wurde das Urtheil gesprochen; es verdammte Raimund Derveaux, des Hochverraths angcklagt und überwiesen, zum Tode. Er empfing das Urtheil mit der Festigkeit, die er sein ganzes Leben hindurch gezeigt hatte. Die Sache der Freiheit hat ihre Märtyrer, wie die Religion die ihrigen. Der Tod ist edel und groß für den, welcher ihm mit kaltem Blute cntgegentritt. Zwei Tage darauf hatte die Uhr des Gefängnisses eben drei Viertel auf Sechs geschlagen, als die barm herzige Schwester erschien, den Gefangenen die Suppe zu bringen. „Sie kommen früh, Schwester," sagte Bcrnard.