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150 Augenblicke, als sie die Lippen öffnen wollte, sah sie sich unterbrochen. Nachdem die furchtsame Leczinska einmal die Waffe gefunden hatte, mit der sie ihre Feindin verletzen konnte, ward ihr Muth verzweifelt und blind, denn sie fühlte, daß er ihr ein andermal nicht wieder zu Gebote ste hen würde. Sie fuhr also fort, sowohl die galante Grille Ludwig's XV. zu verhöhnsn, als die anmaßende Schönheit, die vor ihr stand, wie eine rein materielle Sache oder ein Kunststück aus einander zu setzen, zu erklären und so auf ihren gemeinen Werth zurückzu führen. „Sehen Sie, meine Damen, diese prachtvollen Augen!" fuhr sie mit erhöhter Stimme fort, auf die Madame d'Etioles deutend, „welchen Sammetglanz diese langen Wimpern haben, wie makellos wölben sich diese Brauen! Giebt es etwas Herrlicheres, als diese Wangen? Ist dieses zarte Kinn nicht unvergleichlich? Und dieser Wuchs . . . welche Feinheit! Und diese Haltung . . . welche magische Anmulh!" Zum zweiten Male suchte die Boisson zu antwor ten und wieder gebot ihr die Königin Stillschweigen. „Dieser Korb mit Blumen kleidet Ihre beiden Arme köstlich," sagte sie, „ich ersuche Sie, Madane, sich in dieser Tracht und Stellung malen zu la sen. In keiner andern würden Sie sich so vortheilhaft aus- nchmcn und ich versichere Sie, man wird nicht lüde, Sie in diesem kostbaren Aufzuge zu bewundern." Trotz ihrer Keckheit und ihrer Geistesgegenwart hätte Madame d'Etioles die Besinnung verloren, wenn sie nicht die Gewißheit, für die Schande der Königin mit Qual vergelten zu können, aufrecht erhalten hätte. Sie hatte nur ein Wort zu sagen, doch mußte sie den rich tigen Augenblick dazu treffen. Die Königin ahnte, daß dieses Wort im Anzug sei und in ihrem Schrecken suchte sie jeden möglichen Borwand, um die Boisson zum dritten Male zu unterbrechen. „Ist cs wahr, Madame," srug sie barsch, „daß Sie mit den äußeren Reizen, über die wir so erstau nen, die noch köstlichere Gabe des Gesanges vereinen?" „Erlauchte Kenner in der That haben meine Stimme hübsch gefunden," antwortete Madame d'Elioles, in ihrer Freude, daß sie endlich zum Worte kam und in dem sie jede Sylbe scharf betonte. Auf diesem geraden Wege fortfahrend, wäre sie dahingekommen, ihre Rache zu genießen, als die Kö nigin sie von Neuem unterbrach, und sie durch die Bitte, ihr eine Arie zu singen, vollends zu demüthigen glaubte. „Singen Sie, so wie Sie da stehen," sagte sie zu ihr, „damit wir zugleich mit Augen und Ohren ge nießen." Eine solche gebieterisch gestellte Aufforderung war die höchste Schmach; und so gepanzert auch Madame d'Etioles gegen die Schande war, begann doch ihr Muth zu wanken. Allein plötzlich siel ihr ein Gedanke ein, einer von jenen meuchelmördcrischen Gedanken, welche die gereizte Rachsucht nur den Weibern einflößt, und das, was sie vollends beugen sollte, ward ihr zur furchtbarsten Rache. Stolz beugte sie sich zurück, warf, den Korb noch immer auf den Armen haltend, der Königin einen stechenden Blick zu, entfaltete mit dem Ausdruck der höchsten Freude in ihren Zügen, allen Schmelz ihrer wirklich prächtigen Stimme und begann triumphircnd den berühmten Monolog der Armida zu singen: „Ja endlich ist er mein" u. s. w. „Genug! genug!" rief Leczinska, von dieser furcht baren Anspielung im tiefsten Innern verwundet. . . . Die Favoritin hatte sich gerächt, hielt zitternd inne und sah zufrieden auf die stumme, erblaßte Königin nieder, um die sich alle Damen bceiferten. „Sie noch da, Madame?" rief Marie Leczinska, als sie wieder zu sich gekommen war, „wollen Sie denn warten, bis ich Ihnen die Thür weisen, bis ich Sie für Ihr Benehmen züchtigen lasse!" . . . „Ich verdiene keine Strafe von Ihrer Majestät," antwortete Madame d'Etioles mit heuchlerischer Unter- thänigkeit. „Ich brachte diese Blumen von meinem Bruder, Herrn Boisson de Marigny, Ober intendanten der königlichen Gärten, und ich glaube das Recht zu haben, mich hier in meiner neuen Eigenschaft als Palastdame der Königin vorzu stellen, übrigens habe ich nur Ihrer Majestät gehorcht und bitte tausendmal um Vergebung, wenn ich so unglücklich war, Mißfallen zu erregen." „Es ist gut,!" sagte das königliche Opfer und gab durch einen Wink der befriedigten Henkerin das Zeichen zur Entfernung. Kaum hatte Madame d'Etioles das Gemach ver lassen, so sank die Königin ohnmächtig in die Arme ihrer Ehrcndamen. . . . Eine Stunde hierauf wußte der ganze Hof, daß Johanne Boisson seit dem vorigen Abende die Maitresse Ludwig's XV. war. Nur Herr d'Etio cs kannte diese Neuigkeit nicht, und erst an dem Tage, da sie seinen Namen mit dein einer Marquise von Pompa-