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54 Umgebungen die Seele des hier umherstrcifenden Indianers verdüstert wird, und er, ergriffen von den Schauern solcher schwarzen Waldeinsamkeit, überall gespenstische Ausgeburten seiner rohen Phantasie zu sehen glaubt. Eine ganz eigene Physiognomie nehmen diese Urwälder in den Niederungen am Amazonenstrome zur Zeit der Rcgcnmonate an. Der Strom und häufige benachbarte Seen ergießen dann durch ihre Abzüge die Gewässer weithin in das Land, und um- ! fluchen in einer Tiefe von 12 bis 20 Fuß die Stämme ^ der Bäume. Als wir im December 1819 den Ja- ! pura, einen der wichtigsten Nebenflüsse des Ama- ^ zones, hinauf schifften, vertieften wir uns in einem solchen Wasscrgarten, und irrten drei Tage und drei Nächte darin umher, bis ein glücklicher Zufall uns j in das Strombette zurückbrachte. Unvergeßlich wird uns der Anblick jener unübersehbaren Flulh sein, durch welche der Wind hie und da bewegliche, mit Waldung besetzte Naseninseln an uns vorübertrieb, während wir bald unter dichtem Gebüsche, bald unter himmelhohen Bäumen dahin ruderten. Die luftigen Hymnäen, Myrten, Styrar und Caryocar überschütteten uns mit dem Schmucke ihrer herrlich rothen und weißen Blüthen, und wimmelnde Ballen von Ameisen, die sich ängstlich auf die Zweige ge flüchtet hatten, sielen beim geringsten Anstoß zu unscrm Schrecken in die Kähne herab. Verlaufen sich allmälig die Hochwasser, welche fruchtbaren Schlamm über die Eacaowälder geführt haben, so erscheinen die steil abgcstürzten Ufer wieder, die san- vigen Ränder derselben bedecken sich in kurzer Zeit mit hohem Grase, überall in den Wäldern regen sich neue Lebcnskeime und die phantastische, phallus- ähnliche Helosis, ein fleischiger schwammförmigcr Parasit, sproßt an den Baumwurzeln aus dem Schlamme hervor. Neben dem Charakter eines unerschöpflichen Rcich- thums und einer bewundernswürdigen Fülle, Größe und Ueppigkeit mannigfalriger Baumformcn zeichnen sich diese großen Striche von Urwäldern besonders dadurch aus, daß sic stets im Kleide der Jugend, im grünen Blätterschmucke erscheinen. Zwar stehen zwischen den immer grünen Bäumen auch andere, welche mit Ende der trockenen Monate ihr Laub verlieren; die jungen Knospen treten jedoch so plötzlich hervor, daß man in diesem üppigen Garten nie einen nackten Stamm erblickt. Unbeschreiblich ist deshalb die Pracht der Wälder, wenn im Frühling die rie senhaften Sapucajas ihre Kronen in das Rosenrotst der jungen Blätter hüllen, die Jacaranda statt der Blätter ihre dunkelblauen, mehre Bignonien ihre goldgelben Blüthen entfalten, oder die Quaresima sich mit violetten Blumen überzieht. Ganz anders verhält sich dieses mit denjenigen Wäldern, welche, vom Brasilianer mit dem Namen der Catingas oder der lichten Wälder bezeichnet, während der Dürre ihre Blätter verlieren, und erst, wenn sich mit der nassen Jahreszeit ein anhaltender Regen eingestellt hat, wieder ausschlqgen. Sie be stehen aus Bäumen von bedeutend nicdrigerm Wüchse, und erneuern, wenn sie entblättert sind, dem euro päischen Reisenden das Bild seiner vaterländischen Laubwälder im Beginne des Winters. Sie gehören hauptsächlich den nördlichen Provinzen an, wo sie den sandigen, ur-granitischcn oder jura-kalkigen Bo den in ungeheuren Strecken entnehmen. Dürre, qucllcnarmc Gegenden, deren Flüsse im Sommer versiegen, hügeliges Land oder Ebenen, sind das Vaterland dieser sonderbaren Wälder. Nur mit Furcht und Grauen durchzieht sie der Reisende in den trockenen Monaten. So weit er blickt umstarren ihn regungslos, von keinem Lüftchen gefächelt, die entblätterten Stämme; kein grünes Blatt, keine saftige Frucht, kein frischer Grashalm auf dem glühen den nackten Boden; nur sonderbar gebildete Ccrcus- Stämmc, welche sich hier wie ungeheure Candclabcr erheben, dorr, in geschlossene Reihen zusammcnge- drängt, mit ihren giftigen Stacheln drohen, schei nen noch eine Spur des flüchtigen Lebens in sich erhalten zu haben. — Der menschliche Bewohner durchirrt vcrzwciflungsvoll die dürre Wüste, um aus den tutenförmigen Blättern der Bromclicn einen kümmerlichen Labetrunk zu sammeln. Ucberall nur das entsetzliche Bild einer langsamen Vernichtung. So sahen wir diese furchtbaren Catingas, als wir sie in den ersten Monaten des Jahres 1818, mit einem zahlreichen Trupp, zwischen dem Rio Pcrua- guazm und dem Rio de S. Francisco durchreiseten. Kein Quell, kein Thautropscn erquickte fünf Tage lang die ermatteten Reisenden; von Angst und Todes furcht gejagt, ritten wir Tag und Nacht durch die ausgebrannte Einöde, und von bangen Ahnungen erfüllt, schien es uns, als drohe — ein seltsames, durch Luftspiegelung erzeugtes Bild — die Waldung über uns hereinzustürzen. Löset aber hier ein plötz-