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28« Favori. (Beschluß.) S. So tief ist keine Wunde, Daß sie nicht treue Liebe heilen könnte. „Die Nacht ist schwarz, wie der Teufel, Herr Capitän; ich sehe nichts." „Lehne Dich an Favori an, er wird Dich leiten. Es kommt mir vor, als sei er weniger schwach; er schreitet wacker zu. — Peter, wir nähern uns unserm Frankreich!" „Es muß wohl so sein; denn ich fühle mein Herz rascher schlagen, und ich könnte tanzen und singen, wenn Sie nicht so traurig wären." Der Capitän seufzte tief; Peter wagte nicht mehr, das Stillschweigen zu unterbrechen. „Ach," dachte der junge Offizier, „welcher Unter schied zwischen damals und jetzt! Als wir fortzogen, träumte ich von Ruhm und Glück und Thaten — und nun — was bietet mir das Schicksal? Armuth, Unglück — Ruhe — ach, welche Ruhe! — Helene, Du warst mein Gedanke in Gefahr und Noth — Dein Bild schwebte um mich, so lang' ich noch hoffte; seit dem Uebergang über die Beresina Hab' ich nur an meine Mutter gedacht, meine treue, theure Mutter. Ihr allein will ich in Zukunft leben, ihr allein!" Peter fing jetzt an zu pfeifen; das war ein sicheres Zeichen, daß er sich langweilte. „Bemerkst Du nichts?" fragte ihn der Eapitän. „Keine Bäume oder Häuser, die auf die Nähe der Wohnung des Herrn Henner hindeuten?" Wie Peter die Augen aufriß und seine Er innerungen an die Localität wieder zusammensuchte, hielt Favori an und ließ ein freudiges Wiehern er tönen, dem das Gcwieher eines andern Pferdes antwortete. „Wir sind ja da," rief der Soldat; „jetzt er innere ich mich, und Favori auch." Der Eapitän preßte die Hand aufs Herz und athmete schwer. „Nun denn," sagt' er, indem er mit Hilfe Pe- ter's vom Pferde stieg, „leb wohl, mein braver Favori — wir werden uns nicht Wiedersehen." „Ich will schon alles gut ausrichtcn, Herr Ca pitän," sagte Peter, Favori bci'm Zügel nehmend. „Ich werde sagen: Der Herr Eapitän G erard läßt sich dem Herrn des Gutes ergebenst empfehlen und erstattet hiermit das Pferd zurück, das man ihm gefälligst geliehen hat. Da er aber so bald als mög lich nach Paris zu seiner Mutter muß, so muß er sich die Ehre versagen, sich selbst Herrn und Fräulein Henner vorzustellen. — Jst's so richtig?" In diesem Augenblick trat der Mond aus den Wolken hervor, die ihn bisher verhüllt hatten. „Hm, Herr Capitän," sprach Peter bewegt, „Sie sehen sehr blaß aus — ich kann Sie nicht verlassen." „Mach schnell, mein Freund; ich will mich hier einstweilen auf diese Bank setzen und Dich erwarten." Der Soldat griff nach dem Klingelzuge an der Thüre; dicßmal wurde sie sogleich von Franz ge öffnet. Peter übergab ihm Favori den Zweiten, um ihn nach dem Stall zu führen. Im Salon des Herrn Henner war noch Leben, obgleich es schon ziemlich spät war; Herr Guichard befand sich noch zu Besuch hier und beeilte sich nicht eben zu gehen. Peter trat ein, geleitet von einem kleinen Jokey mit großen schwarzen Augen. Doch kaum hatte der Soldat, nach der ersten Begrüßung, seine Rede be gonnen, die ihm der Eapitän aufgetragen, als ein allgemeiner Ruf der Ueberraschung ertönte. Der eine nahm die Lampe, der andere eine Kerze, jener griff nach einem Eandelabcr, und alle stürzten eilig hinaus. Indessen erwartete der Eapitän, in seinen grünen Mantel eingehüllt, die Zurückkunft Pcter's. Auf einmal sah er Lichter nahen und bald war er von Menschen umgeben, die lautrufend sich zu ihm dräng ten. Doch aus all' dem Gewirr und Geschrei tönte eine Stimme zu ihm, die ihn bis in's innerste Herz drang — die Stimme seiner Mutter! Willenlos, wie in einem Traume befangen, ließ sich Felix in den Salon führen; der gute Guichard hielt ihm zur Stärkung seiner Lebensgeister ein Riechfläschchen vor, so daß der Eapitän seiner schon schwindelnden Sinne wieder mächtig wurde. „Mein lieber, theurer Capitän," sprach Herr Henner mit tiefer Bewegung zu ihm: „nach der Art zu urtheilen, wie Sie dieses Schloß zu betreten vermeiden wollten, scheint es, als hätten Sie nicht geahnt, Ihre Mutter hier zu finden. Wir haben sic bewogen, zu uns zu ziehen, um Sie, Herr Ea pitän, auf dem Wege nach Paris hier anzuhalten, da Sie meiner Tochter versprochen hatten, ihren