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202 der schlechten Wege und der Witterung gefallen. Es > fehlte an Fourage, weshalb Unordnung und Plün derung beim Heere begannen. In Wilna, wo der Kaiser Alexander nicht versuchte, dem Feinde den Ucbergang über die Vilia streitig zu machen, stießen die vereinigten Lithaucr zu den Polen Poniatowski's, die sie Befreier und Brüder nannten. Ach, diese edle Begeisterung währte nicht lange! Die Gesandten, welche von Warschau kamen, um von Napoleon die Wieder herstellung des alten Polens zu verlangen, reisten mit einer ausweichenden Antwort zurück, welche das große Ziel so vieler heldenmüthiger Opfer wieder in die Ferne hinausschoben. Witcpsk, Smolensk, Miasma sielen nach ein ander in die Gewalt der Franzosen, ungeachtet des hartnäckigen Widerstandes der Russen. Aber wenn die Soldaten, erschöpft von Hunger und Ermüdung, als Sieger in die Städte einzogen, in der Hoffnung, sich es eine Zeit lang wohl sein zu lassen und sich zu erholen, so fanden sie dieselben von den Ein wohnern bereits ausgeplündert und in Brand gesteckt und auf den verlassenen Plätzen irrten nur einige Juden umher, welche die Furcht, ihre elenden Ba racken zu verlieren, zurückgehalten hatte. Die Politik der russischen Chefs hatte das abergläubige und un wissende Bolk glauben gemacht, daß die französische Armee nur aus schlechtem Räubergcsindcl bestehe und daß der Kaiser Napoleon Weiber, Kinder und Greise ohne Barmherzigkeit niedcrmetzcln lasse. Am Dnicper, dem alten Borysthcnes, hatte Napo leon, vierhundert Meilen von seiner Hauptstadt, wie man sagt, den Gedanken, nicht weiter vorzudringen. Der Anblick der wüsten Gegenden, auf die der Win ter bald herniedersinken sollte, und vielleicht auch das Andenken an die Unglücksfälle des tollkühnen Karl Xll. schienen einen Augenblick seinen Ent schluß zu erschüttern, einen Feldzug fortzusehcn, der so gefahrvoll zu werden anfing. Doch das Ver trauen zu seinem Stern, die Hoffnung, nach einem großen Siege einen ruhmwürdigen, vom Kremlin aus datirten Frieden zu unterzeichnen, zogen ihn fort nach Moskau, das er seiner erschöpften, aber er gebenen Armee als das Ziel ihrer Anstrengungen und Entbehrungen bezeichnte. Die Russen hatten ihre Strcitkräste in der Ebene an der Moskwa zusammengczogen, um ihre heilige Stadt zu vertheidigen. Durch eine zahlreiche Artillerie und durch tiefe Gräben waren sie gut geschützt. Die Franzosen mußten jede Schanze mit dem Bajonette nehmen, denn die russischen Offiziere hatten ihren Soldaten anempfohlen, sich lieber tödten zu lassen, als sich zu ergeben. Das französische Heer ver richtete Wunder der Tapferkeit. Dicß war die furcht bare Schlacht an der Moskwa. Eine Woche nach dem blutigen Siege, am 14. September, zog die große Armee in die zweite Hauptstadt aller Reußen ein. s. Dahin mit einemmal! EntsetztN herrscht. Wohin ich blicke. — In der Nacht vom 17. bis 18. September hörte man durch die Straßen von Moskau den General marsch schlagen; der Ruf: „Feuer! Feuer!" verbrei tete Schrecken unter den Kriegern, welche sich in den weiten, verlassenen Palästen einquarrirt hatten. Plötzlich aus dem Schlaf aufgcschreckt, griff ein Theil nach den Waffen und rannte durch die Straßen; andere beluden sich mit den werthvollsten Effecten, welche von den Russen zurückgclasscn worden waren; noch andere, die die Begierde nach starken geistigen Getränken in die Keller hinabgelockt hatte, berausch ten sich und zogen, taub für den Ruf ihrer Chefs, cs vor, zu bleiben und unter den Trümmern der cinstürzenden Gebäude sich zu begraben. Der Gras Rastopkin, der Gouverneur von Moskau, hatte OOOl) Verbrechern unter der Be dingung die Freiheit gegeben, daß sie Feuer in der Stadt anlcgten. Doch anstatt der Freiheit fand der größte Theil dieser Elenden den Tod; denn die fran zösischen Soldaten trieben sie auf einen freien Platz zusammen, wo sie ohne Erbarmen erschossen wurden, während sie noch die Lunten zum Anzünden und die Pcchkränzc in den Händen hielten. Am 18. October Abends setzte sich Napoleon mit seiner Armee in Marsch, um nach Frankreich zurückzukchren, ohne den so heiß ersehnten Frieden erlangt zu haben. Ach, bald brach das Unglück noch furchtbarer herein; von Kosackcn umschwärmt, von Ermüdung und Hunger bewältigt, bei sicbenund- zwanzig Grad Kalre, schleppten sich die unglücklichen Franzosen auf ihrer entsetzlichen Bahn dahin. Ein herzzerreißender Anblick! Der Freund erkannte den Freund nicht mehr, wenn er einen Bissen Brot mit ihm theilen sollte; der Soldat erkannte seinen Vor-